Freitag, 25. April 2025

Warten.



LYMPHOLIFE heißt die zerblätterte Zeitschrift in reichlich A4. Das auskunftsfreudige Patientenmagazin des Vereins Lymphologicum. Liegt hier auf einem sehr niedrigem Beistelltisch. Daneben vereinzelte lose Flyer voller Informationen, Werbepostkarten in Aufstellern aus milchiger Plaste. Der Raum mit kaltem Neonlicht bis in jede Ecke unbarmherzig ausgeleuchtet. Gefliester Boden mit seltsamen Rauten in Türkis, Beige ... die Fugen cremig schwarz vom jahrelangen Wischen. An den weißen Raufaser-Wänden hängen seltsam gerahmte Bilder und Informationen: eine New York City Map neben "Das Handgelenk" und einer Seenlandschaft unter blauem Himmel. Ein Fax rattert mitten hinein ins ständige „Guten Morgen“ von Wartenden und dem leicht mürrischen Personal. Es riecht nach Desinfektion und preiswerten Parfüms, Weichspüler und Tabletten ... pappiger, kreidiger Muff. Es ist übervoll. Menschen um die Sechzig auf grauem Gestühl, die Beine übereinander geschlagen, vor sich hinstarrend und ausdauernd in Lauerstellung für den nächsten Aufruf. Eine Reklametüte raschelt, das Telefon klingelt, Füße wippen nervös, eine Handgelenktasche baumelt lasziv im Freien ... zwölf Menschen in etwa 30 Quadratmetern. Ein Pärchen tuschelt und vergleicht die Uhrzeit. Frau Reuter darf jetzt ins Zimmer Vier. Draußen dämmert es langsam, eine Straßenbahn dröhnt direkt am Fenster vorüber, Hackenschuhe klappern, die Beine eines Stuhles kreischen beim Verrücken auf, zwei dickliche Finger zoomen am Display eines leuchtenden Funktelefons. Es herrscht andächtige Stille neben den üblichem Grundrauschen einer Praxis. Eine uralte Patienteninformation - fest geflanscht mit welligem Tesafilm, vergilbte Mitteilung an vergilbte Menschenkinder. Immer wieder schnurrt die Fax-Maschine, andauernd kommen knarzende Durchsagen aus einem hölzernen Lautsprecher über der Tür: „Frau Henze in den Behandlungsraum Drei bitte“ - in die Zimmer Eins und Zwei verteilen sich der Herr Wilhelm und die Frau Rößler. Guten Tag und Auf Wiedersehen während die Zeit läuft und läuft. Jeder sitzt sich hier in aller Stille einsam, dabei klebt doch alles dicht an dicht und wartet und wartet. Mitunter auf schlechte Nachrichten - und aus stumpfsinnigen Gesichtern tritt die Gleichgültigkeit hinüber zu Enttäuschung oder einem elementarem Ausdruck frisch verliehener Schockstarre. Es riecht plötzlich auch nach Kaffee.

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