Freitag, 20. Juni 2025

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Tagebuch eines Verrückten/Schlafversuche mit dem Alphabet


Durch die Seele geht ein tiefer Riss mit fransigen Rändern, dunkle Gewölbe offenbaren die eigentliche Tiefe, das Abgründige atmet erdige Schatten in die ausgehöhlte Atmosphäre. Wenn der Regen fällt und alles zu glänzen beginnt, langt meine Hand in das Nass eines Stromes, greift voller Hoffnung nach dem himmlischen Wasser - doch es entrinnt aus all den undichten Stellen der Anatomie und verflüchtigt sich suchend nach einer Lebendigkeit. Mir bleibt der Glanz von Nässe und ich lecke an allem was sich mir anbietet. Der Irrsinn nistet und brütet an einem fundamentalem Schmerz. Eine festgewachsene Zunge formuliert sich an einem unerhörten Wunsch fast zu Tode. Der nachfolgende Schrei verschiebt sich immer weiter nach hinten und verweilt im Dickicht des Lebenslichtes. Zur Geburt bekommt das Neugeborene dafür einen sanften Hieb auf den noch verschleimten Hintern und die Dinge nehmen ihren Verlauf.

Der Tag kommt wie ein Gong. Nach Karel Gott höre ich weitere Stimmen. Zum Mittagessen serviere ich mir grünen Spargel aus einem sehr schmalen Glas - meine Finger bleiben darin stecken und ersaufen in der Tunke. Für einen kurzen Augenblick sehe ich viele alte Menschen am Fenster. Mir wird ganz heiß. Da leg ich mich doch lieber hin und sehe den Fliegen beim Pimpern zu. Heute ist Gegenteil-Tag. Das Grabmal meines Vaters habe ich nicht veranlassen können. Alle technischen Geräte explodieren am Nachmittag. Die Versicherung ist sich unsicher. Der Wahnsinn umrundet das Haus und brüllt mich ohne Vorwarnung einfach so an. Zappelnd liege ich zwischen eintausend weißen Laken und versuche Obstsorten in einem Alphabet zu ordnen. Apfelsinen, Birnen, Clementinen, Dosenerbsen, Erdbeeren, Fingerhut, Gesine, Haselnüsse, Idole, Jesuiten, Kartoffeln, Limonen, Mandarinen, Nektarinen, Opa, Papa, Quark, Südpol, Tandems, Urmel, Violett, Wachsmalstifte, XYZ, Yamaha und Zombie.

Der zweite Tag ist besser als der Dritte. Es scheppert und knallt im Kopf. Alle Tabletten aufgegessen und das Gebiss verschluckt. Gas wird knapp, Heizung fällt aus und Schnaps wird billiger. Die Nachrichten überschlagen sich wie Kleinkinder auf Dreirädern. Ein kurzer Nagel reicht nicht für eine einzige Kreuzigung. Alle Römer fahren zu einem Weg. Am Abend habe ich meine Füße aufgegessen und es im gleichen Augenblick auch schon wieder bereut. Mit der unpassenden Zwangsjacke empfiehlt es sich nicht gerade zu schwimmen. Auch der tiefste See greift auf seinen Grund zurück. Meine Milch trinke ich vor dem Schlafengehen mit aromatisierten Trinkhalmen. Das Zimmer ist zu dunkel für eine Nacht. Meine Hand ist selbst gegen die weiße Tapete nicht zu erkennen. Vornamen von Frauen in alphabetischer Reihenfolge. Anke, Betty, Claire, Dämonen, Erfurt, Gene, Hannah, Ines, Jochen, Karla, Lilo, Melanie, Nadine, Osmose, Penner, Quentin, Rebekka, Sandy, Tina, Ulf, Viktoria, Wald, X-Faktor, Yvetta und Zement.

In der dritten Woche meiner Zugehörigkeit. Am Pult nur leere Worte. Düsenjäger verfolgen 99 Luftballons. Habe eine Kippe auf meiner rechten Hand minutenlang ausgedrückt und dabei keine Miene verzogen. In meinem Sektglas schwimmt frisches Schabefleisch. Zu guter Letzt warte ich vor einem Testbild auf die Fortsetzung meines inneren Friedens. Im Irrenhaus basteln wir morgen alle an einer Miniatur unserer gemeinsamen Zukunft. Hinterher dürfen die Betreuer die kleinen Kunstwerke auf einer Vernissage in Riga live zertrampeln und schließlich an drogensüchtige Kunsthändler versteigern. Der Erlös fließt in modernere Zwangsjacken und einen Automaten für Gummipuppen. Am heutigen Nachmittag male ich das Haus vom Nikolaus. Und nebenan wohnt der Weihnachtsmann. Kann wieder nicht einschlafen und spiele Alphabet. Diesmal mit Tieren. Alligator, Bär, Camel, Dirne, Einsamkeit, Fuchs, Guter, Hilfe, Igel, Jagdhund, Kloster, Löwe, Melanie, Nippel, Obacht, Pisser, Qualle, Rabe, Suff, Tiger, Uhr, Vögel, Wolf, X-Men, Yoyo und Zimt.

So vergeht ein Tag nach einer Stunde. Nacheinander eines vor und zwei zurück. Mir wird schlecht vom guten Essen. Meine Augäpfel berühren sich und aus meinen Ohren läuft heiße Butter. Die Psychologen wiegen ihre Köpfe hin und her und her und hin. 13:42 Uhr schlägt die Turmuhr ZWÖLF und meine Karte von der Krankenkasse ist ein sehr guter Flaschenöffner. Darin bin ich wirklich gut. Bei einer Wette habe ich schon einmal eine großen Stein hintergeschluckt und beim Aufstoßen das Wort „Bügeleisen“ gesagt. Danach habe ich ein noch sehr heißes Bügeleisen gegessen und kurz danach das Wort „Stein“ gefurzt. Dadurch habe ich eine Milliarde Klicks auf YouTube. Ich bin süchtig nach YouTube. Ich bin süchtig nach Energie und süchtig nach nackigen Frauen. Wenn ich Alphabete vor mir sehe, dann denke ich mir sofort ganz viel dazu aus. Städte wie Amsterdam, Bern, Chemnitz, Dilemma, Ecke, Frankreich, Gütersloh, Helmstedt, Iserlohn, Jochen, Katasteramt, Lippenstifte, Mecklenburg, Nürnberg, Oldenburg, Paris, Querformat, Rippe, Süden, Togo, Ulm, Vietnam, Xbox, Yokohama und Zeitz.

Gute Nacht.

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