Sonntag, 15. Juni 2025

ZU BERLIN!



Der Wind nimmt sich selbstherrlich aus den Segeln und schwächt seinen Eindruck indem er lapidar vor sich hin faucht. Ein alter Seemann zählt die tätowierten Striche seiner verschwendeten Weiber von Rotterdam bis Kalkutta - nur noch schlaff baumelt einstiger Prunk zwischen den lahmen Schenkeln. Die Planken morsch, das Steuerrad gebrochen, Bullaugen blind und in der Koje keine Restwärme mehr. Vom Leben bleibt nichts als trübe Gedanken und Schmerzen am ganzen Körper. Der Schnaps hängt in den Mundwinkeln wie die Traurigkeit in seinen Tränensäcken. Das kommt nicht vom Kummer. Es ist die Vergangenheit und der leere Blick ins Nichts. Offenen Auges in die Nässe der Schwermut. Auf seinem geducktem Haupt streifen vereinzelt Haare herum. Salz und Sand klemmt in den gebogenen Falten der Haut. Eine einzelne Schuppe klebt wie zufällig unter der Nase und glänzt eitel der Sonne entgegen.


Wechsel der Szene, jeder geht jetzt seiner Wege. Zwei besoffene Techniker schleppen an schweren Lautsprechern und planen den Abend bei überreifen Dirnen. In der Dunkelheit einer verkommenen Nacht erwägen sich Zweckgemeinschaften zu Übereinkünften. Planlos dudelt seelenlose Musik hinter der maroden Bühne. Eine Handvoll Schauspieler dehnt sich mehr müde als engagiert. So verkommt die Kunst zur Maloche. Daraus entstehen Routine wie auch aufkommende Nutzlosigkeit. Wohin mit all den Gedanken? Visagisten starren in die Spiegel und lenken alle Sinne ins Wirrwarr. Was das alles zu bedeuten hat, weiß nur ein selbstvergessener Gott namens Constantin. Eine Hälfte der Leere duelliert sich mit der Stille. Jeder andere sitzt sich mit sich selber aus. Ein Doppelkorn ist die letzte Rettung!


Kommentarlos nimmt Frau Lehrerin den Aufsatz entgegen. Überfliegt. Stellt fest. Räuspert sich und greift vorweg: „Es heißt NACH BERLIN nicht ZU BERLIN! Peter, es scheitert schon an deiner Überschrift!“ Peter bleibt still und denkt sich tief ins Innere hinein (Lies doch erstmal den gesamten Inhalt du dämliche Kuh). Er sieht Schlafsäcke die nach Pisse riechen, knusprigen Kebab, blendend helle Leuchtreklame, den Stern von Mercedes Benz, wummernde Beats im Halbdunkel, gebrochenes Deutsch, klebrige Lakritze, den Duft nach U-Bahn, Männer in Leder, Blaulicht und Millionen zertretener Kaugummis ... zu Berlin muss er endlich einmal wieder gehen und sich von ihm den Kopf waschen lassen. Berlin ist seine einzige Liebe. Deshalb ZU und nicht NACH. Pädagogen entwischen eines Tages der Freiheit und begeben sich bereitwillig in Gefangenschaft.

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