Mittwoch, 2. April 2025

LETZTE HAND.



Die alte Rinde schälte sich über Monate vom Kern des Baumes. Viele kleine und größere Einschläge am Stamm, künden von der Beharrlichkeit und nimmermüden Gier des Spechtes. Wenn sich ganz oben im toten Wipfel die starren leblosen Äste berühren, bewogen von einem aufdringlichem Wind, dann erinnern die entstehenden Geräusche an das gläserne Klirren von Väterchen Frost.

Meine beiden Hände packen den Spaten an seinem langen Hals. Viele Kubikmeter fruchtbarer Erde gilt es heute umzugraben. Eine fettleibige Wolke brüstet sich über mir mit ihren bedrohlichen Farben aus sehr dunklem, fast schön schwärzlichem Blau, möchte am liebsten und auf der Stelle auf mich herabfallen. Stürmisch verschieben sich jedoch die Fronten und ich muss nichts mehr befürchten.

Der protzige Sanddorn strahlt aus tausenden orangenen Früchten gegen alles was sich noch mit Grüntönen schmückt. Zutschend probiere ich die süßliche Säure, diesen leicht dumpfen eigenartigen Geschmack - das großartige Vitamin möchte bereits jetzt in meinem ausgebeutetem Körper für Ordnung sorgen und appelliert an die Vernunft. Lange Stacheln spießen erbarmungslos die Haut als sei ich Jesus Christus.

Der Schraubverschluss hat sich mit dem Vakuum verbrüdert. Das Wasser für die offene Kochstelle möchte sich also nicht mit dem edlen Kaffeepulver erhitzen lassen. Meine erdigen Hände zittern von der kräftigen Kühle des Morgens. Aus meinem schwer atmenden Mund haucht unaufhörlich sichtbarer Atem, verdünnisiert sich aber gleich bis zum nächsten Zug. Die leicht schwarzen, gut gemahlenen Bohnen aus Jamaica duften wunderbar in meine Nüstern hinein.

Vor mir liegt die Ebene aus all den Gräsern eines viel zu erhitzten Sommers. Durch den Schatten von Meister Ahorn und seinen gutmütigen Gehilfen, konnte so manches noch überleben. Ein kleines, längst verlassenes Nest hängt etwas windschief in kräftigen Halmen. Die liebliche, zuweilen sehr lautstarke ausdauernde Nachtigall dürfte hier einmal Platz genommen haben. Vorsichtig streichle ich ihr sorgsam errichtetes Gebäude.

Beim ständigen Bücken, Graben und Umwerfen des Humus kommen mir die zahlreichen Gänge von Feldmaus und Feldhamster entgegen. Das nehme ich ohne Skepsis wahr, kann mit all dem Getier koexistieren und mich glücklicherweise daran erfreuen. Der Rücken des alten Mannes protestiert bereits verhalten ... es tropfen glasige Perlen von der Stirn und fast erstarrte Finger spüren kaum noch den Stich des Spatens.

Was kann mich noch alles berühren? Unter mir liegen keine Fallen. Jede einzelne Sekunde hier draußen kommt ohne Kleingedrucktes aus. Das Leben in der kleinen Natürlichkeit, eingebettet in einem Acker, Wald, Wiese und Sumpf, kommt mir mit weit geöffneten Armen freudig entgegen! Der alte Klappstuhl beherbergt meinen erschöpften Körper und lässt beide Beine weit gestreckt in den tauben Brennnesseln versinken. Zaghaft wärmt mir die aufkommende Sonne den Brustkorb.

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