Samstag, 5. April 2025

TRIP



 ... und dann wurde mir schlecht - noch nie zuvor in meinem Leben hatte ich so etwas gesehen! In meinem Kopf lagerte von einer Sekunde zur nächsten ein scharfkantiges metallenes Dreieck aus sich ständig wechselnden Gedanken. Von A nach B zu C - vor und zurück, teilweise auch quer durcheinander und schließlich eine viel zu helle Nacht raubend. Dabei wälzte ich mich wie ein schlachtreifes Vieh im Bett umher, starrte auf die rauen Fasern der Tapete, verband imaginäre Linien miteinander, zerstreute mich unter aller größtem Druck in lapidare Ideen hinein ... dachte an große, starke und schöne Frauen, richtete mich auf und spürte wie die Säure aus meinem angerauten Magen rasant aufstieg. Die Tatsachen und logischen Zusammenhänge verbündeten sich auf widerliche unverrückbare Weise zu einem Moment reinen Horrors. Meister Mond glänzte dazu auf quälerische Art und Weise, beleckte selbst die dunkelsten Ecken des Zimmers mit greller Kälte. Viele viele Minuten saß ich aufrecht und bändigte mit Ach und Krach den Reiz des Erbrechens, unterdrückte das die bittere Brühe in hohem Bogen aus mir heraus schoss, einem bösen Dämonen gleich - doch was sollte all der Dreck in meinem Körper? Zu viel der gesammelten Idiotien, zu viele verzerrte Geschichten und vor allem viel zu viel Ungutes aus der Verschwiegenheit.

Minuten später eierte ich etwas ziellos durch die Straße der mittelgroßen Stadt an den Felsen. Plötzlich platzte kirre Euphorie aus mir heraus, ein wärmender Hauch sanften Glückes und beruhigenden Friedens. Im All winkten mir die Sterne mit ihren kleinen Lichtern zu - da sah ich mich mehrmals um, drehte den Kopf nach allen Seiten, hüpfte auf glitzernden Gehweg-Platten herum und machte mich schließlich auf den endgültigen Ziellauf zu meinem Freund Peter. Er würde mir die Tür öffnen. Sein mürrisches Gesicht dürfte dennoch nicht sehr einladend auf mich wirken. Der lapidar über die Schultern gelegte Bademantel roch immer nach staubigen Teppichen, feuchtem Moos, leichtem Tabak und süßlicher Butter. Sein Ding baumelte völlig teilnahmslos vorne rum, das massive Brusthaar quoll wie aus einem aufgeplatztem Stofftier und aus den dunklen Grube seines Mundes entwich tiefster Schlaf und scharfer Fusel als eine Art abwehrender Vorsicht. Er würde mich einlassen und mir einen Platz anbieten. Sein verlottertes Wohnzimmer bot sich dafür an wie eine lausige aber nicht treulose Bekanntschaft.

Dann rauchten wir hemmungslos an zwei Schachteln Marlboro, kippten neben einfachen Schnäpsen auch einige Herren-Gedecke (Peter verstand zu feiern) und hörten David Bowies „Blackstar“ von 2016 insgesamt sieben mal am Stück. Uns stand der Sinn nach Zerstreutheit und Kummer, nach Ruhe und Krach in Einem, nach Heulen, Lachen, nach Vermissen und Finden. Wir waren dumm vor Selbstmitleid und wechselten uns gegen Morgen mit dem Kotzen ab. Schließlich lagen wir einträchtig und süß wie duftende Babys, Rücken an Rücken in dem schludrig bezogenem Ehebett Peters ... furzten, schnarchten, wälzten uns blindlings herum, schlugen mit den Ellenbogen aufeinander ein oder traten uns unabsichtlich in die aufgedunsenen Bäuche. Draußen hockten die ersten mürrischen Triebfahrzeugführer in ihren federnden Sitzen und rasselten um die Kurve zum Stadtbad hinüber - uns ficht das jedoch überhaupt denn wir schlummerten den Schlaf der Gerechten und träumten von großartigen Frauen in einem Hauch von weißer Spitzenwäsche aus den Siebzigern. Darin waren wir uns immer einig.

„Komm mir nicht zu nahe, sonst schlage ich dir den Unterkiefer aus der anatomischen Verankerung“! Peter schrie in seinem Schlaf laut auf und hieb mir mit seiner rechten Faust direkt in die linke Augenhöhle. Wir rauften miteinander ohne von unserem Gegner zu wissen, droschen aufeinander ein und nannten uns unter anderem „schwule Holzböcke“ oder „Wichser“ und „Schweine“ ... der übliche despektierliche Kram im Affekt ohne Rücksicht auf Herkunft oder gar persönliche Befindlichkeiten. Wir hatten einander noch gar nicht richtig vorgestellt. Irgendwann wachten wir aus einer Art Aggro-Koma endlich wieder auf, huldigten unsere jahrelange Freundschaft, schworen unendliche Treue und schliefen schließlich bis zum Nachmittag hin wieder ein. Der Raum sah nicht gut aus. Wir sind einmal mehr zu weit gegangen - beziehungsweise über uns hinaus gewachsen. Die Dresche ließ uns aufheulen, schreien und zog uns am Ende in eine wunderbare Trance hinein. Wir hatten alles gegeben.

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