Freitag, 10. Oktober 2025

11 JAHRE.



Unter uns: Elf Jahre hinter polierten Gittern sind nicht eben schmerzfrei. Sören war exakt bei Tag 1 von 4015. Die entsprächen 44 Jahreszeiten. Um es noch genauer und unerträglicher zu formulieren: jetzt waren fünf Stunden um - und 96.355 würden noch verlangsamt, wie in Zeitlupe auf ihn zu und schließlich drüber weg schleichen. Für den jungen Mann mit der ausladenden Hasenscharte und einem verknorpelten Ohr auf der der linken Seite war das eindeutig zu lang. Ihn plagten diverse Zipperlein wie Platzangst, eine hochkomplizierte Spaltung der Persönlichkeit, kleinere Ticks sowie der ständige Drang ejakulieren zu müssen. Elf furchtbar lange Jahre isoliert wie ein Resteessen unter Folie, wie aus der Gesellschaft heraus filetiert und in die Tonne geworfen. Ihm war übel von der eigenen, halb verwesten Zukunft ... diesem Mief aus wandernden Wänden und dem beißendem Geruch seiner ständig schwitzenden Achseln.

Der Richter hatte keine Wahl. Die Geschworenen wiegten sich wie im Reigen zur fast melodisch präsentierten Beweislast ... draußen fiel der Schnee, ein paar Wildgänse nahmen leicht verspätet Reißaus - Sören waren die Hände gebunden, der Mund wie versiegelt, die feuchten Augen ohne Glanz und seine hoffnungslose Haltung schien wie ein zusätzliches Geständnis. Die Schwere des Verbrechens, die Indizien zur Tat, Aussage für Aussage, das hysterische Gebrüll trauernder Menschen ... all das ließ ihn förmlich erstarren. Er glaubte nicht einmal sich selbst. Seine Unschuld erschien ihm wie eine Ausrede, ein infame Lüge gegen all das Geröll der Justiz. Sören gab klein bei. So hat er es immer gehandhabt. Sein Charakter lechzte nach Harmonie und Stille. Die Ruhe auf den Sturm, der Friede unter den Menschen. So verkürzte sich der gesamte Prozess um mehrere Wochen und zur Freude des finalen Tages gab es einen festlichen Richterspruch.

Unschuldig im Knast. Und nur er allein wusste es - gemeinsam mit dem eigentlichen Täter und seinem toten Opfer. Die schmuddlige Videokassette vom Frauenknast kam ihm in den Sinn: „Sirene unter geilen Weibern“ hieß der gut einstündige Porno und verhieß ein paar gemütliche Minuten mit gekrümmten Rücken. Jetzt saß er selbst wie nackt zwischen gekalkten Wänden ohne eine Spur von Trost. Weit und breit keine Weiber und auch keine Pornos. In seiner Fantasie ging er alle Vanessas und Svetlanas noch einmal durch ... geschmeidige Frauen, lüstern, unersättlich und devot. Er glaubte ihnen alles, nahm jede Szene für bare Münze und träumte sich stundenlang in ihre fruchtigen Schöße hinein. Seine Zelle lag vor ihm wie ein offenes Maul ohne Zähne. Sein Herz rutschte schwer nach unten, wummerte ungeduldig gegen die Brust ... so, als wollte es ihm sagen: Lass mich bitte gehen!

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