Das Hotel hat einen guten Ruf! Sauberkeit ist oberste Priorität. Die Freundlichkeit des Personals ist linear. Alle Abstände jeglichen Mobiliars unterliegen einem strengen geometrischem Prinzip. Der Teppichboden schluckt jedes Geräusch. Der Kunde hat zu jedem Zeitpunkt seines Aufenthalts das wohlige Gefühl, in einem gut temperiertem Kühlschrankwürfel zu leben. Die Zeit gefriert darin zur Leere. Ein riesiges Bild hinter dem Doppelbett an der Wand! Abstrakter Kunststoff, bunt angestrichener Dilettantismus auf zwei Meter mal zwei Meter. Der Blick trifft auf die Oberfläche dieses Wagnisses und prallt im gleichen Augenblick auch schon wieder daran ab. Eine Flasche Wasser geht gratis aufs Haus. Ein angenehmer Aufenthalt ist der sehnliche Wunsch von Betreiber und Personal. Schneeweiße Handtücher mögen bitte mehrmals verwendet werden. Die Minibar reicht kaum für ein mitternächtliches Kummer-Besäufnis und macht den mittellosen Gast nur noch ärmer. Ein Kleiderhaken dreht sich noch leicht weg und touchiert dabei ganz zufällig das spiegelglatte Nussbraun eines eingebauten Kleiderschranks.
Sonntag, 27. April 2025
IM ZIMMER.
Freitag, 25. April 2025
Warten.
LYMPHOLIFE heißt die zerblätterte Zeitschrift in reichlich A4. Das auskunftsfreudige Patientenmagazin des Vereins Lymphologicum. Liegt hier auf einem sehr niedrigem Beistelltisch. Daneben vereinzelte lose Flyer voller Informationen, Werbepostkarten in Aufstellern aus milchiger Plaste. Der Raum mit kaltem Neonlicht bis in jede Ecke unbarmherzig ausgeleuchtet. Gefliester Boden mit seltsamen Rauten in Türkis, Beige ... die Fugen cremig schwarz vom jahrelangen Wischen. An den weißen Raufaser-Wänden hängen seltsam gerahmte Bilder und Informationen: eine New York City Map neben "Das Handgelenk" und einer Seenlandschaft unter blauem Himmel. Ein Fax rattert mitten hinein ins ständige „Guten Morgen“ von Wartenden und dem leicht mürrischen Personal. Es riecht nach Desinfektion und preiswerten Parfüms, Weichspüler und Tabletten ... pappiger, kreidiger Muff. Es ist übervoll. Menschen um die Sechzig auf grauem Gestühl, die Beine übereinander geschlagen, vor sich hinstarrend und ausdauernd in Lauerstellung für den nächsten Aufruf. Eine Reklametüte raschelt, das Telefon klingelt, Füße wippen nervös, eine Handgelenktasche baumelt lasziv im Freien ... zwölf Menschen in etwa 30 Quadratmetern. Ein Pärchen tuschelt und vergleicht die Uhrzeit. Frau Reuter darf jetzt ins Zimmer Vier. Draußen dämmert es langsam, eine Straßenbahn dröhnt direkt am Fenster vorüber, Hackenschuhe klappern, die Beine eines Stuhles kreischen beim Verrücken auf, zwei dickliche Finger zoomen am Display eines leuchtenden Funktelefons. Es herrscht andächtige Stille neben den üblichem Grundrauschen einer Praxis. Eine uralte Patienteninformation - fest geflanscht mit welligem Tesafilm, vergilbte Mitteilung an vergilbte Menschenkinder. Immer wieder schnurrt die Fax-Maschine, andauernd kommen knarzende Durchsagen aus einem hölzernen Lautsprecher über der Tür: „Frau Henze in den Behandlungsraum Drei bitte“ - in die Zimmer Eins und Zwei verteilen sich der Herr Wilhelm und die Frau Rößler. Guten Tag und Auf Wiedersehen während die Zeit läuft und läuft. Jeder sitzt sich hier in aller Stille einsam, dabei klebt doch alles dicht an dicht und wartet und wartet. Mitunter auf schlechte Nachrichten - und aus stumpfsinnigen Gesichtern tritt die Gleichgültigkeit hinüber zu Enttäuschung oder einem elementarem Ausdruck frisch verliehener Schockstarre. Es riecht plötzlich auch nach Kaffee.
Dienstag, 22. April 2025
LAVA
Zu viel Wind um nichts, zu viel Salz in der Speise, zu viel Zucker in der Blutbahn, zu viel Wasser in den Augen, zu viel Gewicht im Wort, zu viele Details beim Wissen, zu viel Fett am Leib, zu viel Geschrei in der Fußgängerzone, zu viel Tadel in der Schule, zu viel Kummer allerorten, zu viel Adrenalin in der Wut, zu viel Interesse an der Dummheit und zu viele Steine in den Mauern.
Samstag, 19. April 2025
Eventuell.
Da liegen sie: die Elenden, Vergessenen, Hinterbliebenen, Verlierer, Süchtigen, Schwerkranken, Bettelarmen, Denunzierten, Zerstörten, Verlorenen, Belächelten, Konsternierten und hoffnungslosen Fälle! Vehement bei Seite geschoben und erbrochen wie Ungenießbares - ein weiter Bogen drum herum verhindert möglichen Kontakt mit dem Gestank von verschmiertem Kot, geronnenem Blut, stechendem Dunst aus abgestandenem Schweiß, Alkohol und feuchter Wäsche. In den unpassendsten Momenten erscheinen diese armseligen Gestalten wie aus dem Nichts und fordern die funktionale Gesellschaft mit ihrem schaurigen Anblick heraus ... vor hübschen Lokalen, bunten Supermärkten, pompösen Banken, offenen Kirchen, feierlichen Plätzen oder gut gefüllten Boulevards. Für eine Moralpredigt ist jetzt jedenfalls keine Zeit. Vielleicht fasst mal einer mit an oder ruft laut um Hilfe? Wie steht es mit meiner eigenen Courage - bevor ich das ganz Große in die Verantwortung erhebe? Weiche ich vor den Dramen oder lege ich mich besänftigend neben die Traurigkeit? Im Spiegel entsteht ein Bild von mir: ICH. Aus mir ganz allein heraus entstehen Veränderungen - wenn ich das möchte und die Kraft dafür aufbringen kann. Es muss doch etwas geben was uns alle miteinander versöhnt!
Dienstag, 15. April 2025
Moll.
Die sitzen viel zu oft und viel zu traurig auf viel zu großen Garnituren. Alte Männer. Manchmal gelingt es ihnen tagelang gar nicht, sich aus dieser schwermütigen Haltung zu befreien. Dann wiederum stehen sie vor viel zu ehrlichen Spiegeln und sehen all das offenkundige Grau, die feinen Furchen und bräunliche Flecken. Sie hören wie ihr müdes schwaches Herz verzweifelt um Beachtung klopft und es entgeht ihnen nicht, dass der eigene Mundgeruch wahrscheinlich schon wieder der Schlimmste zu sein scheint. Eine angenehme Situation ist das nicht und so kommt es wohl auch dazu, dass allerlei Salben, Medikamente, Duftwässerchen sowie spezielle Zahnpasten die sanitären Ablagen zieren. Alte Männer retuschieren sich mittlerweile sehr verzweifelt. Es ist auch ein Jammer, sie beim Gehen oder Treppensteigen zu sehen - die Leichtigkeit ist einfach dahin und fast scheint es so, als gäbe die Erdanziehungskraft ihre Boshaftigkeit einfach so her. Diese Mannsbilder werden kaum noch beachtet - weder von zuckersüßen Studentinnen noch von drallen Verkäuferinnen. Stattdessen entsteht eine lustlose Leere, ein andauerndes Darben und Bedauern. Das Lecken von Wunden wird dabei eine Art Spezial-Hobby und so betonen die vielen alten Männer auch in einer Tour, dass sie sich in einer schrecklichen Midlife-Crises befänden. Was für eine Bezeichnung! Klanglich noch sehr harmonisch-englisch und vielleicht sogar modern, letztlich aber nur die flackernde Leuchtschrift über einem Fluchtweg. Alte Männer tragen ihr Selbstmitleid wie einen langen und sehr gepflegten Mantel mit sich herum. Urplötzlich kaufen und ersteigern sich diese Traurigen scheinbare tröstliche Erinnerungen an bessere Tage ... Modellautos, Oldtimer, Füllfederhalter, Turnschuhe, Parfüm, Schallplatten und weiß der Geier was diese Wehleidigen noch so alles für ihre Streicheleinheiten benötigen.
Samstag, 12. April 2025
Der Sommer (oder der Mensch).
Der Sommer versucht davon zu kommen. Er versammelt hunderte Schwalben um seinen Schurz und nimmt bereits die Ferne ins Visier. Da und dort bewegt sich noch vereinzelt Wärme zwischen den raschelnden Baumkronen oder es zieht ein lauschiger Windzug um die ausgeblichenen Fassaden der Häuser. Ein letzter Gruß, ein liebevolles Winken und Verbeugen vor den Tatsachen des Lebens - der Sommer wird sich höchstens noch einmal umdrehen um dann endgültig das Weite zu suchen. So verklingen zarte Gläser unter orangenen Schirmen, werden Tischdecken gerafft und Klappstühle im Schuppen wegsortiert. Drängelnd schiebt sich der Mensch in die lauen Strahlen eines schwindenden Lichtes. Plötzlich bekommt der kümmerliche Rest einer kaum noch begreifbaren Hitze ihre melancholische Wertschätzung. Es schwinden die Pigmente auf trostlos hängenden Schultern. Die gute Sonne mag sich nur noch mit halber Kraft und wenig Enthusiasmus um die Begehrlichkeiten im Da und Dort bemühen. Sie hat anderes vor, blinzelt entgegengesetzt zur Sehnsucht und schiebt ihren breiten Hintern in eine andere Richtung. Es ist soweit.
Dienstag, 8. April 2025
3 Unfälle.
I
Das stählerne Beil mit dem langen Schaft diente der brachialen unabänderlichen Spaltung von widerspenstigem Holz. Wilhelm holte mächtig weit aus und übersah dabei die gespannte Wäscheleine hinter seinem zähen muskulösen Rücken. Und so federte/schnellte das scharfe Ungetüm völlig unkontrolliert wie schlagartig in Richtung Hinterkopf und ließ die Schädeldecke aufplatzen.
II
Samstag, 5. April 2025
TRIP
... und dann wurde mir schlecht - noch nie zuvor in meinem Leben hatte ich so etwas gesehen! In meinem Kopf lagerte von einer Sekunde zur nächsten ein scharfkantiges metallenes Dreieck aus sich ständig wechselnden Gedanken. Von A nach B zu C - vor und zurück, teilweise auch quer durcheinander und schließlich eine viel zu helle Nacht raubend. Dabei wälzte ich mich wie ein schlachtreifes Vieh im Bett umher, starrte auf die rauen Fasern der Tapete, verband imaginäre Linien miteinander, zerstreute mich unter aller größtem Druck in lapidare Ideen hinein ... dachte an große, starke und schöne Frauen, richtete mich auf und spürte wie die Säure aus meinem angerauten Magen rasant aufstieg. Die Tatsachen und logischen Zusammenhänge verbündeten sich auf widerliche unverrückbare Weise zu einem Moment reinen Horrors. Meister Mond glänzte dazu auf quälerische Art und Weise, beleckte selbst die dunkelsten Ecken des Zimmers mit greller Kälte. Viele viele Minuten saß ich aufrecht und bändigte mit Ach und Krach den Reiz des Erbrechens, unterdrückte das die bittere Brühe in hohem Bogen aus mir heraus schoss, einem bösen Dämonen gleich - doch was sollte all der Dreck in meinem Körper? Zu viel der gesammelten Idiotien, zu viele verzerrte Geschichten und vor allem viel zu viel Ungutes aus der Verschwiegenheit.
Mittwoch, 2. April 2025
LETZTE HAND.
Die alte Rinde schälte sich über Monate vom Kern des Baumes. Viele kleine und größere Einschläge am Stamm, künden von der Beharrlichkeit und nimmermüden Gier des Spechtes. Wenn sich ganz oben im toten Wipfel die starren leblosen Äste berühren, bewogen von einem aufdringlichem Wind, dann erinnern die entstehenden Geräusche an das gläserne Klirren von Väterchen Frost.
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In die aller größte Stille hinein, ins unbegreiflich Stumme, scheinbar ohne jegliche Bewegung und letztlich wie vakuumverpackt ... lärmt ein...
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Er knirschte plötzlich mit den Zähnen. Sie lag noch lange danach wach. Die einzigen Geräusche im Haus bestanden aus dem ungleichmäßigen Brum...
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Mit zusammengekniffenen Augen schielt der einsame Mann in den grellen Vollmond, inhaliert gekonnt den Rauch der starken Zigarette und denkt ...