Sonntag, 9. November 2025

FILETS.



Seit über 20 Jahren arbeitet Steffen in einer ausgezeichnet geführten Suppenküche. Seit über 20 Jahren hat Steffen dabei so eine Art „Ritual“ oder „Aberglaube“: Er rotzt tagtäglich einmal in jeden Topf.

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Christa ist süchtig nach salzigen Heringen. Das ist eine Art Süßigkeit aus Lakritz. Am Abend kommt sie auf zwei bis drei Tüten täglich und kämpft mit ihrem Blutdruck. Am nächsten Morgen schließt sie auf dem Klo für lange Zeit die Tür hinter sich.

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Jens klaut. Seine diebischen Hände packen sich übergroße Gegenstände. Das beginnt bei Stühlen im Café und endet mit Kränen auf Baustellen. Er stellt sich gut an- ist bestens organisiert und logistisch nahezu perfekt. Das Diebesgut landet auf dem riesigen Bauernhof seiner Cousine Stefanie.

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Anita leckt alles ab. Seit ihrer frühestens Kindheit streckt sie ihre Zunge weit heraus und streicht damit über jede interessante Oberfläche. Lieblinge sind Raufaser-Tapete, die Blätter von Sonnenblumen, Museumsböden, Sauerkirsch-Eis und strukturierte Umschläge von Schulbüchern.

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Rolf ist Berater. Freiberuflich und mit hohem Honorar. Neben Themen wie Ernährung und Bewegung, begleitet er auch Menschen mit Verstopfung auf die Toilette. Dort tritt er als eine Art Motivator, Coach und Hilfsteller auf. Nach jedem Erfolg gibt es frenetischen Jubel und ein gemeinsames Abklatschen.

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Ingrid strickt unendlich. Was ein langer Schal werden sollte ist nun ein schier unendliches Unikat aus mehreren tausend Metern Wolle. Breite 20 cm und Länge mittlerweile unbekannt. Das macht sie seit 38 Jahren. Jeden Tag ein gutes Stück mehr. Nicht alle Zimmer ihrer Wohnung sind noch betretbar.

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Dieter hat es auf hartnäckige Weise und ohne größere Verletzung geschafft, einen Tunnel von einem Ohrloch zum Nächsten zu schaffen. Die Sonne scheint also hindurch. Der Wind zieht ebenfalls von Öffnung zu Öffnung. Dieter hört aber seitdem nichts mehr.

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Kirsten hat sich einen unterirdischen Harem aufgebaut. Es sind über zwanzig sehr gut erzogene brave Männer. Einer schöner als der andere ... gut gebaut und aus aller Herren Länder. Sie tragen auch durchsichtige Tücher vor dem Gesicht. Das macht Kirsten an. Sie hat viel Geld und leistet sich eben ein klein wenig Luxus.

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Torsten hat leider eine furchtbare und sehr kostspielige Angewohnheit. Er kann seine Wohnung nur dann betreten, wenn ihm der per Telefon gerufene Schlüsseldienst die Tür öffnet. Es ist aufwendig. Manche sprechen von Zwang und Freunde wollten die Situation bereits nachstellen um ihm zu helfen. Das spürt der Torsten aber.

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Niemand hat jemals gemerkt, dass unser Pfarrer Herr Schuster eigentlich gar nicht an Gott glaubt. Er ist ein derart begnadeter Schauspieler, dass ihm diese Rolle bisher jeder abnahm. Der Zweck heiligt die Mittel. Nur Gott selbst knaupelt sich vor Wut die Daumenhaut blutig.

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Ende.

Donnerstag, 6. November 2025

DER TAG WIRD KOMMEN.



Hastige Schritte im Flur des sterilen Hotels. Eine schwere Zimmertür schlägt zu. Der Teppich schluckt was er kann. Als wäre er ein Sinnbild für das Leben. Die Nacht verlief in völligem Dunkel. Finsternis strömte zum geöffneten Fenster herein und würgte meinen gesamten Körper. Das Kopfkissen so groß und hart wie ein Findling ... angewinkeltes Gebein, unkontrolliert gelagerte Arme in jede Richtung - so lag ich wie abgeworfen oder hin gezerrt. Was sollten da schon Träume noch ausrichten können? So flogen also Elfen auf mich herab und leckten an meiner polierten Glatze herum. Mein ständiges Drehen und Wenden, das Aufstöhnen und Ächzen, Gezappel wie Starre setzten mir mit Unendlichkeit zu. Hinter dem meterlangen und betonschwerem Vorhang stand jemand und beobachtete mich unbeweglich. Das wusste ich. Es war ja immer da. Im Nebenzimmer entlud sich eine Seele von Mensch. Deutlich hörte ich seinen Kampf: Pressen und Erleichterung. Die Spülung polterte zweimal. Mir war das zu viel Nähe. Nichts unterschied sich voneinander, immer das Gleiche: Lust, Reibung, Geburt, Fraß, Gedärm, Arbeit und Schlaf. Dazwischen drängen und stapeln sich Hoffnungen, Sehnsüchte und Zweifel. Mit Beginn des Sonnenaufgangs plärrt uns irgendeine Wahrheit an - das Schöne schmeichelt, die Fratzen zeigen sich überdeutlich und der Rest ersäuft im Grau. In dieser, meiner Nacht in diesem aalglatten Hotel möchte mich nichts mehr berühren. Mechanisch betrat ich einen Flur aus völliger Leere. Ja - ich war nackt und vollkommen ausgeliefert ... so begab ich mich ins Treppenhaus eines zwanzig Stockwerke riesigen Klotzes und rannte die Stufen auf und ab. Ganz für mich allein und ohne Unterlass. Danach ging es mir besser und ich brauste meinen Körper mit glühend heißem Wasser bis die Haut zu schrumpeln begann. Der Tag war da.

Montag, 3. November 2025

DER FEHLER.



Die vielen Fehler in einem einzigen Leben. Wie dunkle Perlen auf seidener Schnur schmiegen sie sich aneinander und klagen leise ihr bedauernswertes Lied. Peter wusste wovon er sprach. Er war so gesehen ein Perlentaucher und fischte sich ein Dilemma nach dem anderen. Manchen Menschen fällt das in den Schoß, als sei es eine von Gott verdammte Gabe. Für ihn änderte sich nichts. Die Konsequenzen waren ertragbar, die Strafen klar greifbar und alles miteinander auf furchtsame Weise gerecht. Die Männer in den schwarzen Roben, die Frauen mit dem erhobenen Zeigefinger: Sie alle kamen um ihn zu fangen und für einzelne Teile seines Lebens nicht mehr frei zu lassen.

Eine Zigarette nach der anderen inhalierte er zügig und intensiv in die verkleisterten Lungenflügel hinein und blies den übrigen Rauch mit weltmännischem Blick in die öde Botanik hinaus. Die verschwitzte Kappe lag lose auf dem faltigem Schädel, das Hemd nur zur Hälfte geknöpft, quoll krauses graues Haar von der stattlichen Brust. Die Welt hatte ihre gewohnte Ordnung und einige Tage würde das wohl auch noch so gut gehen. Das war schon immer seine Maxime ... die unbedarft lockere Einstellung zu den Hürden und Höhen des Lebens. Mit dem Zeigefinger schnippte er den aufgerauchten Stummel in Richtung Gas-Therme, eine gute Investition aus dem letzten Winter. Ein kleines Leck erwartete die funkelnde Glut.

Nein - ich kann mich nicht freuen. Es darf kein Mut aufkommen und schon gar keine Zuversicht. Sie verbat sich derartige Gefühle rigoros und schlug sich dabei gedanklich auf die blassen Finger. Seit ihr Mann vor knapp fünf Jahren gestorben war, gönnte sie sich kein Glück und erst recht keine Leichtigkeit. Das Leben erhielt damals einen bitteren Beigeschmack und kniete sich auf schmerzende Beine. Das Leben ergab nur noch dann einen Sinn, wenn sie den Tod mit Buße aufwog. Alles was recht war: aus dieser gräulichen Verbitterung heraus zog sie alles ins Misstrauen und gebot ihrer Umgebung demütige Furcht. Keine noch so schöne Blume konnte Freude spenden, kein aufmunterndes Wort zu Trost verhelfen - die Menschen drehten sich schließlich weg und überließen sie eines lebendigen Todes.