Freitag, 30. Mai 2025

Der letzte Zirkus.



All die großartigen Artisten sind im Laufe der Zeit reichlich fett geworden. Obwohl die Kasse leer ist. Vier Kamele pellen sich aus ihrem vergammelten Fell. Am angerosteten Einrad fehlen Speichen. Das riesige Zelt hängt seltsam schlaff. So abgehackt wie hier die Aufzählung - so unstet das Leben auf der Abschiedstournee. Matschiger Rasen trifft verblichenes Konfetti. Übergroße Lutscher verkaufen sich nicht mehr. Die brüchigen Ränge sind nur zu einem Viertel besetzt. Immer Omas mit ihrem Enkel. Alles Einzelkinder mit Funktelefonen im Anschlag. Einige der Gäste gähnen oder schlafen gar. Der Blick auf die Uhr - schon ungehemmt auffällig. Die Show ein einziger Jammer. Keine Klicks auf digitalen Plattformen. Höchstens es fällt jetzt einer von der hohen Kuppel. Der Clown weint in echt. Zwei ehemals weiße Pudel hinken durch einen silbernen Ring. Wow. Der Geruch von Bratwurst belegt die Szenerie wie eine Falschmeldung. Nur die Zuckerwatte reißt alles raus. Sie klebt wie gewohnt an kleinen Fingern. Die ganz großen Patrioten des Dorfes stechen am Abend die Reifen platt. Mit Messern aus dem Military-Geschäft. Jetzt kommt der Fuhrpark nicht mehr weg. Auch das noch. Dem Kummer nicht entkommen können. Die Süße der Finsternis schlängelt ihren mageren Körper durch die schweigende Wagenburg. Die Polizei weiß Bescheid. Es hilft nichts. Nichts hilft.

Mittwoch, 28. Mai 2025

LINIEN.



Die Gerade ist ein linearer Strich. Auf ihr ruhen die Irrtümer. Stringent zieht sich das so hin. Unendlichkeit in beide Richtungen - die Enden für immer und auch für ewig entzweit. So einfach und deutlich. Unabhängig davon dürfte es sich dabei auch immer um eine Grenze handeln. Rechts und links davon, oben und unten, zwei Hälften voneinander getrennt. Die Linie ist ein äußerst schlichtes Ereignis, grafisch rein, geometrisch immer nachvollziehbar.

//

Peter steckt seinen linken Zeigefinger ganz tief in den schlanken Flaschenhals seiner Bierflasche ... er denkt nach. Über Parallelen und Parallelverschiebung, gleichschenklige Dreiecke, Dezimeter als Maßeinheit, die Konsequenzen aus seiner letzten Schlägerei ... „in Linie zu einem Glied“ hört er noch seinen Turnlehrer brüllen und träumt sich mitten rein ins Vergängliche. Geradlinigkeit ist nicht seine Sache. Er liebt Zickzack-Kurse und Wellen.

//

Schwarz auf weiß kommt das Einfachste daher. Von A nach B geht die Reise und mit ihr all das, was der Wind nach seinem stürmischen Nachtflug übrig gelassen hat. In eine Richtung laufend, verlassen wir den Ausgangspunkt unserer Reise - jetzt bloß nicht nochmals zurückblicken oder gar stehen bleiben! Die eine und einzige Linie zugleich - als Kurs für den Weg zum Horizont - der Rest ist ein letzter Wirbel auf einer einsamen Trommel.

//

Peter macht sich auf den Weg.

Samstag, 24. Mai 2025

FREITAGABENDE.



Freitagabende sind im klassischen Sinn großartige Befreiungsschläge. Es regnet duftende Rosen. In der Pfanne brät etwas vor sich hin. Ein altes und immer wieder gern getragenes Shirt kleidet mich wie ein lieb gewonnener Freund. Der Endverstärker läuft bereits warm, aus den schweren Boxen ist schon gutmütiges warmes Gebrumme zu vernehmen. Gleich gibt es Musik! Da kratze ich mir doch das narbige Kinn und sehe in den Spiegel: Mutation zum Künstler und Genießer - kurz vor dem Abschluss. Peter wird noch rumkommen, Alt 68er und friedlicher Gelegenheitstrinker. Im Doppelkorn schwimmt das Große und Ganze. Peter hört sich immer alles an, findet jedes Lied gut. Ein kleiner Stapel Musikkassetten und CDs, dazu hübsches Vinyl für den Plattenteller - liegt bereit - kommet und höret wie freundlich der Herr ist! Freitagabends küssen coole Monde die wartende Sonne - der kirre Moment sitzt in einem goldenen Cockpit und macht sich auf den Weg zu den Sternen.

Dienstag, 20. Mai 2025

TRAURIGE NACHT.



Er knirschte plötzlich mit den Zähnen. Sie lag noch lange danach wach. Die einzigen Geräusche im Haus bestanden aus dem ungleichmäßigen Brummen der Kühltruhe und einem eher zufälligen Knacken der Zentralheizung. Ansonsten sorgte ein brutal heller Mond für bleierne Stille. Peter begann zu träumen. Er redete - daran konnte sie es erkennen. Das meiste davon war ein schnarrendes, unkenntliches Geräusch mit einzelnen Worten oder Wortgruppen. Es klang aufgebracht. Peter schien sich in seinen Fantasien in irgendeine Sache zu verwickeln. Mitunter rief er etwas in die Leere des Schlafzimmers. Sie kannte ihn jetzt seit über dreißig Jahren. Hin und her wälzend kam Peter in Fahrt. Es entwickelte sich eine Art Dominanz. Immer schien es so, als sei er am Steuer seiner Träume. Es gab jede Menge zu tun. In dieser Nacht deutete zunächst nichts auf seinen Tod hin. Er kam letztlich auch für sie sehr überraschend und so ließ sie ihn bis zum nächsten Morgen neben sich liegen. Lautlos rannen ihr die Tränen in kleinen feinen Bächlein herab. So, das war es also. Eines Tages sollte es ja immer schon sein, eines lieben Momentes würden sich ihre Wege trennen. Aber nun? Nach dieser Nacht? Sie hatten sich geliebt und spürten dabei noch immer die Reste von Glut, diese tief verborgene und leicht abstrahlende Wärme ... ein einziger Luftzug genügte um ein Aufleuchten zu erzeugen. Peter war ein Patriot im Bett. Er wusste immer worauf es einer Frau ankam - nahm sich nicht wichtig und wusste wann es genug war. Dafür liebte sie ihn. Die Starre setzte ein. Der Mond versteckte sich feige. Sie ging die Beerdigung durch. Sie nahm einen ersten vorsichtigen Schluck des Kummers, schmeckte bereits den Hieb der Trauer. Vorsichtig legte sie ihren Kopf ein aller letztes Mal auf seine leicht behaarte Schulter. Er bewegte sich. Das ging von ihr aus. Sie band in Gedanken einen riesigen Strauß bunter Feldblumen.

Samstag, 17. Mai 2025

GELBE HAUT



Spielerisch, fast tänzelnd dreht, wendet, schwingt und schiebt sich die MARLBORO zwischen dem Daumen, Zeige- und Mittelfinger hin und her. Die gealterte Hand hat darin reichlich Übung - routiniert ergeben sich verschiedenste Stellungswechsel und geradezu lieblich kräuselt sich der würzige Tabakrauch durch jeden sich bietenden Zwischenraum. Der Geruch von verbranntem Zucker, trockener Steppe sowie des angebauten Krautes schwebt durch die Lüfte und macht sich nach aufwendigen Umdrehungen schließlich gänzlich aus dem Staub.

Sorgfältig wie sparsam saugt Peter jeden Millimeter der Zigarette in sich ein, touchiert dabei den orangefarbenen Filter, kohlt ihn sogar leicht an - inhaliert, schluckt und pustet - schnippt schließlich den synthetischen Rest mit einer einzigartigen Technik meterweit in die Gosse. Das Prozedere ist reine Routine und dennoch von einer seltsam anmutenden Ästhetik. Jeder kleine Junge möchte einmal genau so seine erste Kippe fachmännisch und beiläufig zugleich entsorgen.

Peter rotzt die kurz und schmerzlos hochgezogene Aule wie ein gefährliches Geschoss zur Seite weg. Dann zieht er nochmals durch die aufgeblähten Nasenflügel kraftvoll hoch und schluckt die Reste schließlich einfach runter. Danach riecht er an seinen groben, leicht gekrümmten Händen, fährt sich beidseitig über den Kopf und schiebt schließlich beide Pranken in seine angerissenen Hosentaschen. Mit dem Innenfutter der Jeans reibt er sich den Schritt und blickt sich unbefangen um.

Die Schachtel Zigaretten hat eine sehr schöne feste Form. Akkurat stapeln sich darin schöne lange Stängel, fest gestopft und voller besonderer Aromen. Der allererste Zug an einer frisch entnommenen Marlboro erfüllt Peter mit den größten Glücksgefühlen. Es ist auch immer sein tiefster Zug ... und nur wenig schenken seine Lungen wieder her. Leichter Schauer befällt ihn, seltsamer Schwindel und unendliche Entspannung sorgt für ein winzig kleines Lächeln in seinem faltigen Gesicht.

Schon wieder dreht sich eine kleine, feine weiße Walze in der Rechten. Gräulicher Qualm steht unentschlossen in der Luft - und während die Sonne so ganz allmählich untergehen mag, hört Peter in der Ferne den Hufschlag junger, wilder Mustangs. Vorsichtig kneift er beide Augen zusammen, blinzelt verschmitzt ins gedämpfte Licht und entdeckt zwischen brennenden Farben den Schimmer eines glitzernden Sees. Ein Lagerfeuer spuckt die letzten Funken. Die Welt ist ein einziger Ort der Harmonie.

Peter wechselt regelmäßig die Hersteller seiner Stängel. Jede Marke erzählt ihm irgendeine Geschichte - die Botschaft von Abenteuer und Freiheit hat ihn seit jeher verführt und auch glücklich gemacht. Den traurigen Rest kennt er, nimmt ihn in Kauf wie einen Absturz im Urlaubsflieger. Jeder krepiert auf seine Weise - aber bis dahin möchte er ein Lasso wie wild über seinem Kopf schwingen! Das Feuerwasser im kleinen kristallenem Kelch blinkt und bittet um seine Aufmerksamkeit. Er kramt sich was zum Rauchen raus und kennt den Weg.

In den langen, tiefen, schwarzen Nächten tastet sich Peter tollpatschig durchs schiefe Treppenhaus. Seine hellblaue Schlafanzughose hat einen porösen Bund und rutscht immer wieder unter die Wölbung seines Hinterns. Im Tiefkühlfach sind mehrere Bierflaschen vergessen und schließlich explodiert. Ein Sektkorken detoniert und sprengt quer durch den kalten einsamen Flur, kullert schließlich unter schwere Vorhänge und kommt zur Ruhe. In der Stille zündet das Hölzchen. Gelbliche Finger führen das kleine Glück zum Mund.

Peters Leben hat gut und gern sechzig Jahre zur Seite gelegt. Stringent abgerissen in einer dampfenden Chemiefabrik, zwischen schwankenden Häuserzeilen, über den ungezählten Tellern mit Mostrich und Frikadelle, hinter zementierten Gittern, unter der Last einer übergewichtigen Freundin und im wöchentlichen Wahn eines kommenden Jackpots. Fade und schleierhaft in der Schräge zum Stehen gekommen.

Angezogene Beine unter der steifen Bettdecke, ein Feixen über sehr erfolgreiche vertonte Furze, der Wurf des Latschen nach dem Geräusch einer Maus - der Abend in einer kalten Kammer entpuppt sich Tag für Tag als ein unbesuchtes Musical. Seine Finger stinken unnatürlich süßlich und verbraucht. Peter wühlt sich in seine drei Kissen und formuliert ein Gnadengesuch an den Schlaf. Mühselig nestelt und fischt er sich eine gekrümmte Fluppe aus dem Ascher neben der Matratze. Jetzt gibt ihm der Mond das nötige Feuer und unter dem Kreischen von schwangeren Dämonen entlässt er seinen Korpus dem bestialischen Gestank der Einsamkeit. 

Dienstag, 13. Mai 2025

JANINA PACKT AUS!



„Unsere Väter“ - so stand es geschrieben, ganz groß an der breiten Tafel, mit weißer Schulkreide in perfekt geschwungener Handschrift. Darunter etwas kleiner: „Beschreibe dazu einen unwiderruflichen Gedanken in einem Satz.“ Janina starrte in die Leere des gerade begonnenen Tages. Was für ein Müll! Sie hasste diese esoterische weichgespülte Ethik-Lehrerin abgrundtief. Draußen lärmten dreckige Spatzen - und sie hatte jetzt augenblicklich unfassbaren Appetit auf Bubble Tee mit süßlichen Aromen von Mango und Vanille. Aus ihren frisch rasierten Achseln kroch pubertärer Geruch von frisch geronnenem Schweiß. Das Deodorant lag unterm Spiegelregal im Badezimmer. Dort lag es gut. Ihre Banknachbarin malte stupide Karos aus. Schule wurde für Janina so zäh und durchwachsen wie billiges sehniges Fleisch. Sie saß auf ihrem blauem Plastikstuhl und dachte ungewollt an Papa. Wie sollte sie diesen peinlichen Menschen in einem Satz zusammenfassen? Was sollte das alles, was ging das diese dämliche Kuh von Lehrerin überhaupt an? Immer diese Psycho-Spiele, Leben und leben lassen, Moral, Hausordnung, Regeln und Prinzipien! Es geht um verpfuschte Vergangenheit und natürlich um die Gestaltung unserer düsteren Zukunft! Janina kam es dermaßen hoch. Sie wollte einfach nur raus aus diesem dumpfen Knast mit all den pädagogischen Aufsehern, dem verklebten Geruch nach der feuchten Fäulnis ungewaschener Schwämme, diesem ewigen Kreidestaub und immergrünen Zimmerpflanzen, Geschrei, Poltern, schrillem Geklingel - weg - weg - weg ...


Sie schrieb den einen gewünschten Satz: Mein Vater ist einfach nur dumm.

Sonntag, 11. Mai 2025

Schlechte Nachrichten!



Auf meinem Weg in die starre Einsamkeit der Berge, fand ich einen toten Vogel. Er war hässlich und aus seinem gekrümmten Schnabel sickerte rötliche Spucke. Mein kleiner Wanderspaten grub ihm ein kleines Grab. Darauf legte ich die Blüten einer mir nicht bekannten Pflanze. Der Weg vor mir wurde steinig. Dunkle Wolken bedrohten meine Zuversicht. Von den ersten Hängen löste sich Geröll - ein Sturm kam auf und ließ die Kiefern wie fette Peitschen aussehen. Bedächtig schraubte ich am Verschluss des Doppelkorn und ließ mir die klare Flüssigkeit in den Rachen rinnen. Erster Regen erreichte meine faltige Stirn und benetzte vorsichtig die Oberflächen der Umgebung.

Plötzlich humpelte der tot geglaubte, unansehnliche Vogel über meinen Weg und blaffte mich erbost an: „Du dämliche Drecksau von Mensch, du stinkender Eingeborener einer versifften Großstadt ... hast mich bei lebendigem Leib verbuddelt und vergraben unter grobem Klump dieser armselig ausgetrockneten Erde! Müsst ihr euch an allem vergreifen mit euren Wichs-Fingern? Gibt es nicht Heiliges mehr auf dieser verschlissenen Weltkugel?“
Mein Wanderspaten sauste auf den Nüschel des Vogels, Gift und Galle, Blut und Scheiße flogen durch den morastigen Duft der jungen Tannen. Die Schockstarre versetzte dem Wind einen Kick in die Magengrube und um mich herum verstummte alles was jemals einen Ton von sich gegeben hatte. Mir wurde Angst und Bange.

Freitag, 9. Mai 2025

OW



Manches bleibt eben unausgesprochen. Steckt förmlich im Halse fest. Manifestiert sich zu einer gefrorenen Masse innerhalb siedender Blutbahnen. Der eine oder andere Alptraum gesellt sich scheinheilig hinzu ... der verdammte Tod versucht mit seinem dreckigen Husten die Schlichtheit verrotten zu lassen. In uns tobt der Mix eines kunterbunten Krieges aus Neid, Zwietracht, Geilheit, Arroganz, Resignation und Missgunst. Das aufrichtige Kind in uns - diese zwergenhafte Unbedarftheit, das Leichtgläubige, Verspielte, die Fantasie, das naive Mitgefühl, schnelles Verzeihen und Vergessen - wo ist es hin? Stattdessen stapelt sich die Problematik auf Zerwürfnisse, jagen sich Krankheiten mit vergiftetem Stress ... Die Üblichkeiten des Alltages verzeihen sich ihre Grautöne höchst gönnerhaft. Alle Worte untergetaucht. Die ganze Wut verschluckt. Jede Form von Widerspruch erstickt im Morast der völlig falsch interpretieren Rücksichtnahme.


Der Mensch - ein Heini. Das Leben verkommt zum Witz: So viele vergebene gute Chancen auf der ewigen Jagd nach dem Neuanfang. Die Persönlichkeit zu hartgesotten, reichlich verfestigt, vernarbt und gefesselt an den Ungetümen der Zivilisation. Ein riesiger Vorschlaghammer rauscht auf ultrafeste Stahlplatten und wird immer wieder zurückgewiesen. Die Unerbittlichkeit des Schicksals, dieses nicht weiter geschönte Darben und Jaulen bricht jedem einzelnen das Herz. Was für ein Gebrüll! Weg damit - sag ich, einfach hinfort mit der Schwere!
Wenn ich mir jetzt etwas zu sagen traute, sich die Sätze formulieren ließen, ein Ton nach dem anderen meine Verkniffenheit bräche ... dem randvollen Damm gleich ... Vielleicht gäbe es dann eine Zustimmung, einen Frieden unter meiner Brust? Noch nie habe ich es gewagt von einem Sprungturm überhaupt in die Tiefe zu sehen - und es wird wohl dabei bleiben. Die eigene Feigheit klammert sich vehement an die Gewohnheit und hat es sich hübsch darin eingerichtet - allein die Seele benötigt verschreibungspflichtige Mutmacher.

Mittwoch, 7. Mai 2025

JUNGE



Der kleine Junge war so schnell wie der Wind! Er fegte einem Sturm gleich durch die riesigen Straßen der abgehalfterten Stadt. Es war ein glückliches Kind, rundum mit sich und der Welt zufrieden - eingebettet in federleichter Geborgenheit konnte er jedes Hindernis mit einer unglaublichen Leichtigkeit überspringen. Sein Name war Peter. Schmale Schultern, strohblondes Haar, stechend blaue Augen, wohlig gebräunte Haut, schmächtiger Brustkorb und muskulöse Beine. Immer hatte er irgendetwas vor. Mit Sandalen aus reinem Leder flog Peter von einem Ort zum nächsten, auf einem alten Damenrad mit nur einer Pedale donnerte er blitzartig zu seinen Großeltern oder zum Brötchen holen in die Mittelstraße. Die dünnen pusteblumenhaften Haare standen zu Berge, seine Wadenmuskulatur arbeitete wie ein kleine Fabrik. Er grüße den riesigen Pfarrer, die dicke Frau Kamm hinter der Käsetheke, den Busfahrer Uwe, die klapperdürre Apothekerin Frau Sand, ein ihm bisher unbekanntes Mädchen mit zwei großen Affenschaukeln im Haar, den Polizeimann Herrn Schelle, die Zwillinge Elisabeth und Irma Kuhfleck, die dralle Tochter vom Herrn Bürgermeister, den Fischer Gerd Kalicek und eine kleinere Gruppe Krippenkinder in einem größeren Handwagen. Er grüßte immer alle! Freundlich und fröhlich wie er nun einmal war. Viele Ideen wirbelten in dem etwas zu groß geratenem Kopf, abenteuerlich - ja, aber nie allzu gefährlich. Seine Mutter sollte keinen Kummer ertragen müssen. Oft sah man ihn an einem Bootshaus sitzen, auf einem schiefen Steg und endlos Selbstgespräche führen. Wer ihn dabei nur hörte, glaubte an eine größere Ansammlung von Kindern. Aber hinter der Weide sinnierte nur der Peter und starrte den Plötzen, Barschen und Rotfedern hinterher. Eine feine Linie aus dünnstem Nebel lag über dem milde duftendem See. Die große weite Welt reichte exakt von einem Arm zum anderen. 

Sonntag, 4. Mai 2025

Ach Vater ...



Leise schleichende Gedanken schmiegen sich schließlich aufdringlich an die schiefen Pfeiler meines Bewusstsein. Wie plakatiert kleben all die Reste der Vergangenheit an der aufgeweichten Seelen-Pappe. Vater ist tot. Im Zwiespalt ist kaum noch der Platz für etwas Einleuchtendes. Die Stille löscht das letzte Licht. Eine traurige Faust schnellt eher lapidar auf die Mauer aus Beton zu - halbherzig staucht sie sich, fällt herab und baumelt schließlich mutlos im Freien. Vater ist seinen Pflichten nicht nachgekommen. Die Kinder müssen doch etwas zu Essen bekommen. Der Liebe ist das trotzdem völlig egal. Sie schert sich einen Dreck um teuflische Zweifel und Bedingungen. Die zweite Faust trifft schon fester auf das Harte. Ein Riss tut sich zögernd auf, kann sich kaum entscheiden ob er das Blut quellen lassen soll. Ach Vater! All die Jahre ohne ein einziges Sterbenswörtchen, nicht der Hauch von Versöhnung - wir beide haben es so gewollt und doch nicht ertragen. Dafür hau ich diese dämliche Faust ein drittes und letztes Mal gegen unschuldige Ziegel, ziehe nicht zurück, lass Knochen und Haut prallen ... das rote Erbe fließt wie ein lebendiges Bächlein und tropft auf den alten Teppich. Das Gute tut sich schwer.

Donnerstag, 1. Mai 2025

IRRSINN



Keinerlei Winter, fehlende Kälte. Die Vögel sind verwirrt. Der Wind bricht einem alten Baum den kranken Arm. Ein kleiner Bach würgt an alten Getränkebechern. Säuerlicher Regen fällt wie in Zeitlupe auf die geknickten Köpfe magersüchtiger Pflanzen. Im Land des Irrsinns ist Fasching. Es fallen Schüsse. Schreckliche Kriegsbemalungen sorgen für Angst unter der Bevölkerung. Auf den Regalen liegt fester Staub. Das Geld ist alle. Niemand glaubt mehr, keiner hofft - von der Liebe nichts zu sehen. WELTUNTERGANGSSTIMMUNG steht in riesigen Lettern auf den höchsten Häusern der Stadt. Ein alter Angler sitzt tot in seinem Campingstuhl. Der Tischler rammt sich den Hobel tief ins Gelenk. Vollbesetzte Busse fliegen kopfüber von hängenden Brücken. Eine Welle aus Stahl, Müll, Altglas und stinkenden Verpackungen rast rollend durch das schwer verwundete Land. Viele tausend Neugeborene hocken mit langen Fernbedienungen vor dem TV und starren erschrocken in ihre Zukunft. Eine überfällige Operation fällt der Raucherpause zum Opfer. Es gibt eine Milliarde Pflegedienste. Über den Wolken hat sich eine übliche Zimmerdecke gebildet. Der Wahnsinn rennt in einem viel zu kleinem Slip und Jesuslatschen durch den verwelkten Sauerampfer. Stupide klirren Gläser und in einer Art Endlosschleife prostet sich der Mensch ein gutes Gefühl zu. Jeder hat mehrere Orden direkt in der Haut stecken. Verdienste für das Land der Väter und Mütter. Ein Kalender zählt rückwärts die letzten Tage der Welt. 12 Jahreszeiten in vier Monaten bringen die Natur zur Weißglut. Der Irrsinn und der Unfug schleudern sich zu alter Frische - im Waschsalon brennt noch Licht.