„Was soll nur aus uns werden?“
Mittwoch, 19. November 2025
VON LIEBE LEBEN.
Freitag, 14. November 2025
PROCEDERE.
Die alte Rinde schält sich über Monate vom Kern des Baumes. Viele kleine und größere Einschläge am Stamm, künden von der Beharrlichkeit und nimmermüden Gier des Spechtes. Wenn sich ganz oben im toten Wipfel die starren leblosen Äste berühren, bewogen von einem aufdringlichem Wind, dann erinnern die entstehenden Geräusche an das gläserne Klirren von Väterchen Frost.
Sonntag, 9. November 2025
FILETS.
Seit über 20 Jahren arbeitet Steffen in einer ausgezeichnet geführten Suppenküche. Seit über 20 Jahren hat Steffen dabei so eine Art „Ritual“ oder „Aberglaube“: Er rotzt tagtäglich einmal in jeden Topf.
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Donnerstag, 6. November 2025
DER TAG WIRD KOMMEN.
Hastige Schritte im Flur des sterilen Hotels. Eine schwere Zimmertür schlägt zu. Der Teppich schluckt was er kann. Als wäre er ein Sinnbild für das Leben. Die Nacht verlief in völligem Dunkel. Finsternis strömte zum geöffneten Fenster herein und würgte meinen gesamten Körper. Das Kopfkissen so groß und hart wie ein Findling ... angewinkeltes Gebein, unkontrolliert gelagerte Arme in jede Richtung - so lag ich wie abgeworfen oder hin gezerrt. Was sollten da schon Träume noch ausrichten können? So flogen also Elfen auf mich herab und leckten an meiner polierten Glatze herum. Mein ständiges Drehen und Wenden, das Aufstöhnen und Ächzen, Gezappel wie Starre setzten mir mit Unendlichkeit zu. Hinter dem meterlangen und betonschwerem Vorhang stand jemand und beobachtete mich unbeweglich. Das wusste ich. Es war ja immer da. Im Nebenzimmer entlud sich eine Seele von Mensch. Deutlich hörte ich seinen Kampf: Pressen und Erleichterung. Die Spülung polterte zweimal. Mir war das zu viel Nähe. Nichts unterschied sich voneinander, immer das Gleiche: Lust, Reibung, Geburt, Fraß, Gedärm, Arbeit und Schlaf. Dazwischen drängen und stapeln sich Hoffnungen, Sehnsüchte und Zweifel. Mit Beginn des Sonnenaufgangs plärrt uns irgendeine Wahrheit an - das Schöne schmeichelt, die Fratzen zeigen sich überdeutlich und der Rest ersäuft im Grau. In dieser, meiner Nacht in diesem aalglatten Hotel möchte mich nichts mehr berühren. Mechanisch betrat ich einen Flur aus völliger Leere. Ja - ich war nackt und vollkommen ausgeliefert ... so begab ich mich ins Treppenhaus eines zwanzig Stockwerke riesigen Klotzes und rannte die Stufen auf und ab. Ganz für mich allein und ohne Unterlass. Danach ging es mir besser und ich brauste meinen Körper mit glühend heißem Wasser bis die Haut zu schrumpeln begann. Der Tag war da.
Montag, 3. November 2025
DER FEHLER.
Sonntag, 26. Oktober 2025
GIFT UND GALLE.
"Die saufen, bis es denen aus den Ohren wieder raus schwappt!" Ein gut gealterter Herr läuft eingehängt mit seiner Gattin über die glänzenden Fußwege der bereits abgedunkelten Stadt. Missbilligend fällt sein Blick auf zwei unrasierte Trinker an einem schlecht ausgeleuchteten Eck-Imbiss. Es gefällt ihm nicht, wenn sich die Menschen gehen lassen ... saufen, pöbeln, keinerlei Arbeit verrichten, auf den Bänken lungern, nicht grüßen, den Gehsteig zuparken, Hunde nicht an der Leine führen, die Schaltkästen besprühen, Vorgärten verrotten lassen, die Treppe nicht kehren oder wenn jugendliche Werbemittel-Austräger partout keine Wochenangebote der Discounter in die Treppenhäuser auslegen. Dann zweifelt der hagere, alternde Mann mit der gesellschaftlichen Moral und schimpft so lange, bis ihm der Magen seinen Dienst versagt und grünlich-bittere Galle durch die Speiseröhre empor steigt. Seiner vergesslich gewordenen Frau ist dies einerlei, sie geht diesen Weg mit ihm bis zum Schluss - soweit die Füße sie tragen und solange er sie noch in seinem drahtigen Arm einhenkelt.
Freitag, 24. Oktober 2025
DOPPELLEBEN.
Im schäbigsten Café der Stadt ... mit dem gerissenen rotem Leder des Neunziger-Jahre-Mobiliars und der angetrockneten Pisse auf vergilbten WC-Brillen ... aufgespritzte Lippen bei einer 40+ Bedienung und den jämmerlich angerichteten Eisbechern aus längst erblindetem Glase ... bräunlicher Stuck gezeichnet von unlängst verbotenem Rauch aus den kräftigsten Zigaretten des Planeten ... da hob Peter ein bis zum Rand gefülltes Glas und schüttete es in sein riesiges Kopf-Loch! Soff und bestellte nach. Bestellte und soff. Soviel er konnte und es quollen ihm die einst kleinen Äugelein zu glasigen handgroßen Perlen. Seine Unterlippe konnte die Flüssigkeit kaum noch führen und so troff es immer wieder feucht auf sein burgunderrotes Hemd. Mit den Hemmungen fiel auch die Würde. Von wegen "unantastbar"! Zeit verging - und Zeit kam - bis sie wieder verschwand. Peter klammerte sich an den Drink wie der der halbtote Kapitän am Mast seines schlingernden Schiffes. Die Sache schien entschieden. Im Portemonnaie stapelten sich mächtige Scheine und boten mit ihrer Anwesenheit keinen Einhalt. Die Botox-Kellnerin legte ihre Hand mit den meterlangen wie feuerroten French-Nails auf seine müden Schultern und flüsterte liebevoll irgendwas wie "Was ist denn los mein Guter" in seine stark behaarte Ohrmuschel.
"Man müsste das Leben panieren können!"
Peter selbst schien verblüfft über seine spontane Antwort. Als ich mich zu ihm setzte, begann er darüber zu sinnieren und verfing sich ein ums andere mal zwischen Eitelkeit und Selbstmitleid. Es war ja erst 14 Uhr und wir hatten schon mächtig Verluste gemacht. Um uns herum kreisten Aperole und Schwarzwälder Kirschtörtchen mit Eierlikör. Große Busen wohin das Auge reichte! Man hätte die ganz Stadt melken können! Dümmlich blickten wir uns um und verließen uns auf die Vergangenheit. In der Toilette versuchte ich heulend alles voll zu pissen. Ein asoziale dumme Sau die ich einmal war! Worauf kam es jetzt noch an? Dabei stellte ich mir zwei Blöcke Butter vor. Und gerührtes Ei. Und Paniermehl. Vielleicht würde das wirklich helfen? Das Leben eingepackt in Panade und ab damit ins Siedende? Kirre wie ich einmal war strauchelte mein enthemmtes Wesen wieder direkt zu Peters Tisch. Mit einer langen Gerade versuchte ich seine Front zu erwischen - traf aber ins Leere und umarmte ihn stattdessen. Wir beiden waren selbstverliebt in unseren Kummer und schauten fast schon mit Stolz auf unsere Ausweglosigkeit. Schein auf Schein wirbelte auf und versengte mit all dem Schnaps und ungezählten Bieren unsere kindlichen Herzen.
Sonntag, 19. Oktober 2025
DER KUSS.
Die erste flüchtige Berührung unserer Lippen war schon unangenehm. Der nachfolgend lange, schnalzende Kuss schmeckte nicht und die mit der Zunge um sich schlagende Frau war auch die Falsche. Ihre schlanken Arme klammerten meinen Rücken direkt im Hohlkreuz und ich war mit den Gedanken mitten auf der Flucht. Zwei volle Brüste pressten sich gegen mich, ihr Kiefer malmte wie eine Maschine die nach Öl bohrt. Schlaff und lustlos, zurückhaltend wie frei baumelte meine Zunge in ihrem Mund. Die Zeit wollte dabei nicht vergehen, wie eingefroren stampfte die Situation wütend auf der Stelle und ich besaß nicht den Mut sie zu enttäuschen.
Donnerstag, 16. Oktober 2025
RESTE.
Das kleine Mädchen wandelte im Schlaf. Der stumme Mond kramt nervös in seiner länglichen Umhängetasche und suchte sein vergoldetes Opernglas.
Freitag, 10. Oktober 2025
11 JAHRE.
Unter uns: Elf Jahre hinter polierten Gittern sind nicht eben schmerzfrei. Sören war exakt bei Tag 1 von 4015. Die entsprächen 44 Jahreszeiten. Um es noch genauer und unerträglicher zu formulieren: jetzt waren fünf Stunden um - und 96.355 würden noch verlangsamt, wie in Zeitlupe auf ihn zu und schließlich drüber weg schleichen. Für den jungen Mann mit der ausladenden Hasenscharte und einem verknorpelten Ohr auf der der linken Seite war das eindeutig zu lang. Ihn plagten diverse Zipperlein wie Platzangst, eine hochkomplizierte Spaltung der Persönlichkeit, kleinere Ticks sowie der ständige Drang ejakulieren zu müssen. Elf furchtbar lange Jahre isoliert wie ein Resteessen unter Folie, wie aus der Gesellschaft heraus filetiert und in die Tonne geworfen. Ihm war übel von der eigenen, halb verwesten Zukunft ... diesem Mief aus wandernden Wänden und dem beißendem Geruch seiner ständig schwitzenden Achseln.
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In die aller größte Stille hinein, ins unbegreiflich Stumme, scheinbar ohne jegliche Bewegung und letztlich wie vakuumverpackt ... lärmt ein...
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Alte Menschen wellen sich, welken nach und nach - und manchmal fallen sie einfach so in sich zusammen. Mir gegenüber sitzt einer von jenen, ...
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wenn der Morgen zügig graut, die Tiefe der Dunkelheit aufweicht - bis schließlich die Pionierin des Lichts mit geballten Fäusten die Reste...









