Sonntag, 17. August 2025

JENS IST TOT.



Hallo? Können wir reden? Oder ist da wieder keine Zeit? Keine Geduld? Kein Nerv? Sind die Ideen ausgegangen? Hat alles keinen Sinn mehr? Bleibt alles beim alten? Ist es die Mühe nicht wert? Du kannst mich nicht mehr hören - das stimmt doch oder?

Du sagst, die Ruhe vor dem Sturm sei immer das Beste. Es ist der eine stille Moment, in dem sich alles auflöse und für Bruchteile von Minuten zu nichts entscheiden kann. Auf einer Straße die nur bergauf gehe, bliebe dem Gedanken nichts als die Atemlosigkeit.

Jens ist tot. Das wollte ich dir erzählen! Es geht nicht mehr immer nur um uns - wir zerfallen vor dem Schicksal, rutschen mit unseren Schwierigkeiten vollkommen vom Gipfel der Gefühle. Wer weder zu früh noch zu spät stirbt, dem bleibt weder Verzweiflung noch Zufriedenheit.

Ist das nicht tragisch? Musste das denn sein? War das nötig? Auf dem Weg zur Schlachtung fragt sich das kein Schwein. Dein Gejammer ist nur die Gier nach Leben ... einem Dasein wo möglichst alles passen muss. Du würdest Dir gern selbst am Arsche lecken - hab ich recht?

Da knallt auch schon die Tür, ein Schlüssel dreht sich mit Vehemenz und mit unerbittlicher Härte. Allein das Geräusch spricht für sich und schließt mich für die Zukunft aus. Jetzt rennst du gleich die Straße runter, drehst dich natürlich nicht noch einmal um - diesen  Fehler gilt es zu vermeiden.

Donnerstag, 14. August 2025

EIN GUTER FREUND.



Ein guter Freund

Im Ostpreußischen geboren ... an einem siebzehnten März 1926 ... was für eine helle Freude für jeden der sich etwas mit Literatur beschäftigt ... wurde mir Siegfried Lenz zu einem sehr guten ... möchte sagen ... vertrautem Freunde ... was mich in meiner allgemeinen Verfassung immer ein kleines Stück glücklicher gemacht hat.

Es sind kluge und sehr bedachte Bücher ... einig in ihrer niveauvollen reinlichen Sprache ... sehr fein formuliert und bisweilen von größter Zärtlichkeit ... auf Kitsch verzichtend und niemals belehrend ... eher erhellend. Die biblischen Elemente Glaube, Liebe und Hoffnung finden sich in allen Werken wohltuend wieder ... ohne die Religionen im allgemeinen zu bedienen ... überhaupt haben Manifeste so gar keine Chance.

Der Deutsche Taschenbuch Verlag veröffentlichte im März 1996 die ungekürzte Ausgabe „Über das Gedächtnis - Reden und Aufsätze“ und forderte damit meine eigene Vorstellungskraft heraus. Für das schmale Büchlein benötigte ich mit aller Mühe und notwendig erscheinender Zeit ganze zwei Monate ... Lesen ... Reflexion ... Neubeginn ... Wiederholen ... Notizen ... Nachschlagen ... Unterstreichen ... Pausen ... Überlegen ... Weglegen ... Nachdenken ... Überblättern ... kurze Quälereien ... Überforderung und Erkenntnisse die sich erst einmal setzen mussten wo oft keine Stühle bereit standen.

Lächerliche 212 Seiten in reichlich ausufernden zwei Monaten ... Reden und Aufsätze über das Gedächtnis ... von der Gegenwärtigkeit des Vergangenen ... über Dostojewski dem gläubigen Zweifler ... Erfahrungen beim Wiederlesen ... Etwas über Fantasie ... Heinrich Manns „Kleine Stadt“ ... Sehnsucht und Dauer (über Theodor Storm) ... Weltflucht mit Komfort (Hinweis auf Paul Kornfeld) ... Aufklärer in der Kleinstadt (über Wilhelm Raabe) ... Illusion und Opfer (über Jerzy Andrzejewski) ... Weder Schall noch Rauch (etwas über Namen) ... ein Buch über das man auch sagte, es sei reich an Kenntnis und würde unsere Sympathie gewinnen.

Das Beschwerliche als auch die Leichtigkeit beim Studieren des Büchleins hat mir eigene Grenzen wie auch Lösungen aufgezeigt. Es galt neue Anläufe zu nehmen oder mit dem Rückenwind der eigenen Erkenntnisse möglichst durchzustarten. Es gab schwer zu kauen oder eben leichtere Kost - Lenz kann darin sehr variabel mit dem jeweiligen Intellekt des Lesenden umgehen. Zu keiner Zeit schämte ich mich jedoch meiner eigenen Hürden. Jeder Geist wurde im Verlauf seines Lebens auf höchst individuelle Weise abgespeist. Der Sieg kommt niemals ohne eine Niederlage daher - auf welcher Seite auch immer mein Verständnis vor sich hin spazierte ... es gab stets Futter für die fragende Seele.

Samstag, 9. August 2025

KURVE.



Da hacke ich nun das gute Holz ... und die frisch gespaltenen Scheite fliegen mir nur so um die bläulichen gefrorenen Ohren ... alle Muskeln sind ordentlich angespannt ... der angestrengte Kopf frei von jeglicher Last ... außerhalb der Schieflage ... dringt der Stahl ein ums andere Mal hinein in die festen Fasern ...zerhaut jegliche Abwehrversuche ... schneidet und keilt sich hinein in das Fleisch der Natur.

Die Tage erscheinen und verschwinden plötzlichen wie kleine feine Sätze, gesagt, getan, vergessen. Vielleicht möchten sie das nicht hören geschweige denn wahrnehmen, aber ich wiederhole es dennoch wie einen geölten Psalm: Nichts wird bleiben und so sein wie es gerade ist! Verstehen sie das doch bitte endlich einmal! Daran zu denken oder überhaupt eine Ahnung darüber zu entwickeln, fällt allerdings den meisten Menschen sehr schwer. Das Geheule ist dann jedenfalls immer groß.

Mein Freund Peter beispielsweise hat so gar nichts zu verlieren. Er ist ein selbstbewusster, geradlinig denkender Patron - mit beiden Beinen gut verbunden auf des Mutters Erde. Manchmal glaube ich, das er in einem fort schläft. Auf diese Weise schenkt er dem Dasein nicht so viel Aufmerksamkeit und probt unbewusst für den Verfall danach. Peter macht das schon irgendwie alles richtig. Er ist da unbedarft wie ein tapsiger Vogel oder ein stummer Baum. Hat sich nie etwas genommen und wird auch nichts verlieren müssen.

Jetzt stapele ich die Stücken von Buche, Kiefer und Birke. Mit gewissenhafter Pedanterie puzzle und verkante ich die Scheite, bis eine kleine Mauer aus Holz entsteht. Das hat eine tiefe meditative Wirkung auf meinen wirren Kopf ... dazu der schneidende Wind, die einsetzende Dämmerung und steife Fingerkuppen - all das gibt mir das Gefühl real zu sein. Die Wirklichkeit wird anderen zum Verhängnis ...

Peter kocht sich drei Eier. Bei ihm muss immer alles ungerade sein. Er schneidet sich auch nur an neun Fingern die Nägel oder hat auch nur einen Schuh beim Laufen an. Manchmal liegen in seinem Bett fünf Frauen. Er ist ein klein wenig verrückt, glauben sie mir. Trotzdem wär ich öfter gern wie er - so locker und ohne einen einzigen, verschwendeten Gedanken. Mit seinem dritten Auge studiert er stundenlang glänzende Schmuddelhefte ohne dabei rot zu werden.

Gott sei Dank habe ich inhaltlich die Kurve gut genommen, bin weg von den düsteren Prophezeiungen und traurigen Blicken in die Zukunft. Mit meinem krummen Zeigefinger lassen sich ganz gut die Gewürzgurken aus dem Glas angeln. Das belegte Brot wartet geduldig auf dem etwas verkohltem Holzbrett. Im Kamin berstet die Feuerung mit einem Hagel von glimmenden Funken, stiebt wütend gegen die Schlackewand und wirkt am Ende doch immer wie der ewige Verlierer.

Sonntag, 3. August 2025

MANN AUS DEM MEER.



Windschiefe Zähne in einer Visage aus festem Zement. Auf der schwärzlich getoasteten Mischbrot-Scheibe türmte sich zuckersüße Erdbeermarmelade. Ein zweiter Aufguss dünnen Kaffees drehte sich noch in der geblümten Sammeltasse. Peter klaubte mit seinen groben und viel zu groß geratenen Fingern eine Schmerztablette von der matt gestreiften Igelit-Tischdecke. Sein kantiger Schädel brummte, eine seitlich gelagerte Ader tat sich an der Schläfe besonders hervor. Der Mund sperrte sich auf, schlang nacheinander die Pille, den Kaffee und malmte schließlich die angekohlte Schnitte. Langsam drehte sich sein Kopf zum Fenster hin, seit Jahren ungeöffnet und verdreckt vom Staub der Zeit. Unbescholten schickte die Sonne ihr strahlendes Ich ins innere des Zimmers. Im Lichtkegel drehten sich wie schwerelos kleinste Partikel, abertausende Winzlinge feinster Elemente ... Peter hauchte leicht in ihre friedliche Mitte hinein und sorgte nur allein damit schon für eine furchtbare Unruhe. So einfach war also alles außer Kontrolle zu bringen.

Die "Zeit" wurde mit weichen und stark rußenden Kohlestiften skizziert, der Künstler Matthias aus Elbingerrode machte sich an diesem Thema zu schaffen. Ob nun Endlichkeit oder das Gegenteil davon, sei inhaltlich einmal völlig außen vor gelassen - der fast achtzigjährige studierte Maler und Grafiker konzentrierte sich in der ersten Phase seines Schaffens vor allem auf Linien, lauter unter heftigem Druck ausgepresste Geraden. Dabei brach ihm immer wieder die schwarze Zeichenkohle weg, unterbrach den Malfluss, krümelte und verschmierte jede aufkommende Harmonie. Die großflächigen Pappen sahen seltsam verwüstet aus ... einerseits der Versuch von Struktur, anderseits unsauberes Chaos. Käufer fanden sich für die Werke nicht. Kunst ist auch immer Mühsal und gnadenlos - sie unterwirft sich keinem Zwang und schon gar keinem System zum Überleben. Matthias begann noch großflächiger mit seinen dunklen Zeitlinien zu arbeiten und bezog Mauern, Asphalt, Fassaden oder LKW-Planen mit ein. Er breitete sich aus - völlig losgelöst von schablonenhaften Zwängen nutze er dazu auch die Kraft von kochendem Teer. Die Deckkraft, der einmalige Farbauftrag begeisterte ihn.

Jetzt wo wieder und wieder alles zu blühen drohte, begab sich Ruth Wansleben in ihren aufwendig ausgebauten Keller. Vor dem UV geschützt und vor all zu aufdringlichen Farben in Sicherheit knipste sie ihren Schwarz-Weiß-Fernseher an und verfiel in eine jämmerliche Trägheit. Nur noch selten ging sie jetzt nach oben. Ruth versank in einem riesigen Ohrensessel und gabelte sich Pfirsichhälften aus einer Konservendose. Die wöchentlich ausgestrahlte Serie mit dem Mann und seinen Schwimmhäuten zwischen den Fingern, zog sie ganz in ihren Bann. Sie konnte mitfühlen, sein Leid teilen - und darauf kam es ihr generell im Leben an. Hier unten fühlte sie sich der amerikanischen Story ganz besonders nah, spürte die Bedürfnisse vom „Mann aus dem Meer“ in einer starken Leibhaftigkeit. In ihrer innerlichen Ruhe verheddert, schlief sie plötzlich ein, verpasste das Abtauchen, die Flucht vor den Gewissheiten der Forscher. In einem tranigem Traum warf Ruth Wansleben überlebensgroße Dominosteine um. Feiner, durchsichtig schimmernder Sabber verließ ihre schlaffen Mundwinkel, aus der schräg gehaltenen Dose troff sämig die gezuckerte Flüssigkeit. Was sie alles verpasste!

Samstag, 2. August 2025

WAS WERDEN SOLL.



Was soll werden? Zwei kräftige Hände packten meine schlaffen Schultern und rüttelten kräftig daran ... sie griffen nach dem müden Kopf und wackelten diesen hin und her ... schließlich umschlossen sie mein Herz und drückten schmerzhaft zu!

Tschingis Aitmatow und „Der weiße Dampfer“ rutscht mir vom kleinen Tisch und wie benommen falle ich in mich zusammen. Die Kraft des Schreibens versetzt mir einen heftigen Schlag, die Macht des Schicksals zerstört den menschlichen Traum!

Was soll nun werden - im Angesicht der letzten glasklaren Seen und dem blutigen Dreck unter gerissenen Fingernägeln? Wohin mit all den Waffen, diesen Beschleunigern des Kummers, den Verstärkern der Schreie? In den Schmutz und unter die genagelten Stiefel mit ihnen!

Die alte Frau mit der vielsagenden Gicht in den Händen schält an fleckigen Kartoffeln. Ein ums andere Mal fallen die runzligen Erdäpfel zu Boden. Auf dem gusseisernen Ofen brodelt bereits erwartungsfroh das kochende Salzwasser. Es duftet nach süßlicher Stärke, würzigem Kümmel und fetter Butter.

Das Alter pachtet unter glücklichen Umständen auch die Weisheit und eine wichtige Erkenntnis. Meine Ohren öffnen sich dem - wie riesige Tore einer langsam verfallenden Scheune. Es geht nicht um Wahrheiten - sondern ganz generell um die Macht und Kraft der Liebe.

Wir müssen uns den Blumen öffnen - das Pflücken und Schneiden jedoch nochmals überdenken. Das Glück des Lebens endet immer abrupt an den Brüchen und Rissen dunkler Wendungen. Das Licht trifft die Helligkeit und lässt das Böse erstarren. Bis in den letzten Winkel.

Daran glaube ich.

Donnerstag, 31. Juli 2025

BISCHOFSPLATZ.



Der Peter hat einmal mutwillig eine Schallplatte zerbrochen. Er war sehr erbost über einen miserablen Song darauf. Kurzerhand nahm er das schwarz glänzende Vinyl und teilte es wie eine Oblate. Der gleiche Mann (Peter) hatte auch ein wunderschönes Liebeslied komponiert. Für seine leider viel zu früh verstorbene Großmutter. Ihre gruseligen Geschichten und dampfenden Klopse waren sagenhaft - und darum geht es auch inhaltlich in dem Stück. Peter ist ein sehr emotionaler Mensch. Er trägt sein feines Herz auf der Zunge. Eines schönen Tages ist der Gute mal zu seinem Chef ins Büro und hat dort aus seinem wechselhaftem Leben erzählt. Eine gute Stunde lang, einfach so. Daraufhin wurde gemeinsam ein Weinbrand getrunken. Jeder ist ein Mensch (eine ganze Flasche!).

Es ist Ende Mai und aus der Ferne weht der nächste Monat heran. Die Zeit ist für Peter nur eine üble Erfindung der Trübsal. Kein Wert ist von Dauer. Alles wird einmal verblassen und schließlich vergessen. Eine Sanduhr braucht es dafür nicht noch extra. Wir fühlen es doch schließlich deutlich genug. Als die Großmutter starb, redete Peter einfach weiter mit ihr. Aber das wurde weniger - und auch die Gedanken waren eines Tages auf der leisen Flucht. Dafür hockte ganz tief in seinem Herzen ein unverrückbares Gefühl - die Liebe. Letztere hatte sich für immer bei ihm eingenistet. Weitergeben ließ sich dieser Schatz jedoch leider nicht. Er blieb exklusiv.

Vor vielen Jahren traf ich den Peter einmal am Bischofsplatz. Damals verkehrten noch die letzten Dampflokomotiven und verschmutzen selbstherrlich die Luft, die Häuser und schließlich auch alle rosafarbenen Lungen der Neugeborenen. Viele der Kinder litten unter schrecklichen Atemwegserkrankungen - gerade hier, wo sich so viele Gleise kreuzten.
Er stand da am Bahnsteig und sortierte mit seinen Füßen kleine Kieselsteine. Hin und wieder schaute er auf und prüfte seine unmittelbare Umgebung. Tief versunken in seiner Gedankenwelt, vielleicht auch melancholisch oder gar traurig gestimmt - das war nicht eindeutig abzulesen. Als er mich flüchtig wahrnahm, lief er betont unauffällig davon und tat als wäre das ganz ohne Absicht.

Dafür liebte ich ihn - er war wie ich.

Sonntag, 27. Juli 2025

INNERE MEDIZIN.



Der Internist Dr. Faustinus Brisak kümmerte sich tagein und tagaus um die inneren Beschaffenheiten des menschlichen Körpers. Man nannte ihn unter der Hand respektvoll den „Wühler“ oder „Pfadfinder“ - saß in seinem gelblich lasierten Warteraum oft mehrere Stunden inmitten von Menschentrauben und fieberte freudig erregt seiner Behandlung entgegen. Dieser Arzt, ein langer Schlacks mit schneeweißem Haar und Händen aus Gold, sorgte stets für entspannte Gesichter. Jede noch so große Furcht erregende Diagnose verpackte der Spezialist in salbende Worte - wog seine Patienten in einer Art himmlischen Schaukel und erklärte all den Trost mit den göttlichen Fügungen und der irdischen Beschaffenheit von Endlichkeit. Er ließ die Traurigen weinen, beließ sie in seinen Räumlichkeiten, anstatt sie mit bitter schmeckenden Diagnosen auf die laute Straße hinaus zu stoßen. In Nebenzimmern kümmerten sich ziemlich beste Psychologen um die erregten Gemüter, es gab feinsten Kaffee und köstlichsten Kuchen - und die Hoffnung auf alles Gute für verbleibende Zeiten.

Die Glücklichen ließ er in der Stille ihre Freude auskosten - diskret und ohne die berühmten Freudensprünge. Alle sollten sich miteinander vermengen - wie die Zutaten für den besten Teig der Welt. Niemand würde mit seinem Gefühl, welcher Art auch immer, allein gelassen - keiner sollte vor sich selbst fliehen können und in der Einsamkeit seiner Verzweiflung oder unendlichen Freude den Nebenmann vergessen.

Herr Dr. Faustinus Brisak füllte die Herzen wie mit „warmen Bourbon-Vanillepudding“. Seine heimelige Praxis befand sich in einem alten Schloss voller positiver Energiefelder. Die Räumlichkeiten glichen Spielzimmern und waren aufregend wie kunterbunte Casinos. Er verteilte Räusche jeglicher Art - Ablenkungsmanöver und optische Täuschungen. Es gab Spiegelkabinette und eine kleine Gespensterbahn im Kellergeschoss. In seinem Behandlungszimmer tänzelnden reife, halbnackte Helferinnen auf mächtigen Stöckelschuhen herum - je nach Bedarf aber auch knackig muskulöse Mannsbilder in knappen Tangaslips und Leopardenmuster. Jeder wähnte sich in einem selten gewordenen Traum, in einer Blase voller Wunder und Sonnen. Hier ein letzter Wunsch, dort ein offenes Wort ... keinerlei Neid oder Gehässigkeit, kein Kummer und schon gar keine Verzweiflung - der Doktor hatte alles Negative unter seiner Kontrolle und erstickte das Böse im Würgegriff seines wunderbaren Herzens.

(Nachwort: Dr. Faustinus Brisak war leider auch ein Wirrkopf und Chaot. Allzu oft verwechselte er die Akten seiner Patienten, mischte diese wie Patiencen oder verlegte wichtige Befunde. So kam es oft zum Tausch der verschiedensten Schicksale - oft überraschten sich plötzliche Tode mit seltsamen Wundern. Das geplante Denkmal wurde leider nie errichtet.)

Freitag, 25. Juli 2025

LUISA.



Luisa lag malade am glühend heißen Strand auf brennend weißem Sand. Mit ihren ultralangen Fingernägeln pickte sie auf das gläserne Display ihres Funktelefons und musste sich furchtbar anstrengen die Kontraste der Bilder überhaupt noch erkennen zu können - zu grell reflektierte das Licht der Sonne. Der ganze weite Himmel zeigte einen hauchzarten Verlauf von sehr hellem zu weniger hellem Azurblau auf - es gab in diesem Augenblick nichts was der Hitze etwas entgegenzusetzen hatte.

Luisa sah sich lauter gut gebaute Boys an. Sie wischte einen nach dem anderem lustlos weg - ein stoischer Vorgang der jegliche Sinnhaftigkeit vermissen ließ. Die Jungs auf der Börse sahen alle gleich aus, schnitten die selben überheblichen Fratzen und boten sich mit verwegenen Texten als besonders begehrenswert an. Auch hier Gleichklang - in der Sprache und das fand Luisa alles öde und einfallslos. Mit dem rechten Zeigefinger kratzte sie sich vorsichtig einen kleinen Mitesser auf der linken Schulter auf - mit XXL-Gel-Nägeln ging das sehr leicht und unkompliziert.

Luisa starrte irgendwann gelangweilt auf das nur leicht bewegte Wasser hinaus. Ein dummer Bruder drückte seine bedauernswerte kleine Schwester unter Wasser und rief dabei stolz nach den Eltern. Der gesamte Strand wirkte wie erstarrt in einer Art Stumpfsinn und als das Mädchen brüllend wieder nach Luft schnappen konnte, bewegte sich die hohle Masse nur punktuell und erschreckend unaufgeregt. Die Temperatur erreichte langsam und sich ereifernd den Höhepunkt des Tages.

Luisa verspürte leisen Hunger nach Frittiertem - durchdachte die Wege zu KFC, MC Donalds und Bürger King. Zerlaufener Cheddar kam ihr in den Sinn, cremige Shakes sowie zuckersüße Cookies. Die zarten Mundwinkel begannen glasklaren Speichel zu sammeln. Wie in eine unentdeckte Höhle bohrte sich schließlich einer ihrer Finger in das rechte Ohr, grub darin herum und wurde dann mitsamt den Bodenschätzen einem grellen Licht zugeführt. Sie schnippte ein kleines gelbes Kügelchen gekonnt in die Glut des weißen Sandes.

Luisa langweilte sich schrecklich. Ihre braungebrannten Eltern dösten oder rammelten noch im Hotelzimmer. Neben ungemachten Betten lagerten Tangas, Schokoladenpapier, Ladekabel, leere Sektfläschchen und Lesebrillen. Sie empfand diesen Urlaub als etwas Unnötiges und beklagte das Leiden in den Weiten ihrer digitalen Bekanntschaften. Die planschenden Kinder störten mit ihrem hysterischem Gekreische und den klatschenden Geräuschen. Notgeile Mannsbilder schwenkten ihre aufdringlichen Blicke unablässig über die Oberflächenstruktur braungebrannter Weiblichkeit. Ätzend.

Luisa fielen langsam die Augen zu. Hinter den geschminkten Augenlidern machte sich wohltuende Dunkelheit breit. Je fester sie die Finsternis ins Visier nahm, umso bunter erschienen ihr die zahlreichen funkelnden Sterne im stechenden Kontrast. Als kleines Mädchen hatte sie diese Übung zum Träumen genutzt und sich in den Weiten des Weltalls geglaubt. Jetzt schlief sie fast genauso leicht wie früher ein und ihr tiefer Atem entließ schluchzende Geräusche. Der Hauch eines zaghaften Windes streichelte die halbverbrannten Arme und kleine feine Härchen richteten sich vorsichtig auf.

Luisa flog langsam durch die klare Luft, streckte den Körper nach allen Seiten - streifte mit größter Vorsicht ein Wolkenband und betrachtete die Merkwürdigkeiten des Lebens aus der Höhe. Sie spürte Zufriedenheit, bemerkte eine deutliche Entlastung ... weiche Farbtöne schmeichelten den Nerven. In einer Art von Reisefieber zog das junge Fräulein über die flirrenden Dächer und wirren Köpfe hinweg - weder Verdruss noch Zaghaftigkeit bremsten sie dabei. So könnte es eine Weile gehen, so zu träumen machte Mut und in Luisa tobte vergnügt wie ein kleines Kind.

Dienstag, 22. Juli 2025

AM SUND. Teil 3



Das Boot treibt ab. Alles verrutscht, kümmert sich nicht ums Gleichgewicht und schon gar nicht um das halb gefüllte Glas Rotwein. Susis Strapse reißen in der ersten Panik. Die Bettwäsche saugt sich gleichmäßig voll - fast schon in rasender Geschwindigkeit zerfällt ein verheißungsvoller Abend ins splitternde Holz der Planken. Völlig absurd erscheint dabei die nicht enden wollende Erektion von Peter - sie ist ihm bei all den verzweifelten Rettungsversuchen natürlich nicht sehr behilflich und Susi starrt fassungslos auf die strenge Härte seines Geschlechts. Aufkommende Winde necken das fast hilflos erscheinende Schiffchen, drücken es mal auf links und dann auf rechts. Feiner Nieselregen erscheint wie bestellt auf der Bildfläche, der Himmel schwärzt sich auffallend bösartig und mit den kommenden Minuten wird sich die Lage durchaus ins Dramatische verändern. Wie auf Gottes Geheiß nähern sich erste Menschen mit einer hilfsbereiten Ader und machen Susi beim Zünden einer Camel Light mutig. Peter nähert sich ihr etwas unbeholfen auf dem schlingernden Deck und packt plötzlich in die stämmigen Hüften seines kleinen Lieblings. Susi kokettiert mit dieser unmissverständlichen Geste und bewegt aufreizend ihren grandiosen Hintern. Beide stehen bereits bis zu den Knien im einströmenden Wasser, beide vergessen für die nächsten drei Minuten alle Welt um sich herum, jegliches Kriegsgeschehen, jegliche Hungersnot und die allgemeinen Schmerzen des Planeten. Alles geht sehr schnell und die Liebe zeigt sich von einer unerbittlichen Weise, geht gnadenlos in die Tiefe und erhebt schließlich ihre heilige Stimme zum Himmel. Das Boot geht unter. Susi und Peter hocken zitternd in einem alten Kutter bei Fischer Lars. Der nimmt Heringe aus und schleudert die Innereien den Möwen in ihre aufgerissenen Schnäbel. Dabei schielt er unter aller größten Anstrengungen der Susi auf ihre wirklich sehr großen Brüste. So viel muss erlaubt sein. Peter ist unter Deck und schläft sich glücklich in eine Operette aus verschiedensten Träumen. Der Hafen ist noch weit und das Leben mitunter kurz. Jede einzelne Sekunde sollte genutzt werden. Für alles erdenklich Gute!

Montag, 21. Juli 2025

AM SUND. Teil 2



Peter war Taucher. Ein Tiefsee-Spezialisten-Extrem-Taucher. Und Höhen-Kletterer. Er hat 1982 und 1989 den Pariser Eiffelturm alleinig mit Rostschutzmittel ausgebessert. Letzte Nacht erzählte er mir von zusätzlichen Fähigkeiten - wie die jährliche Teilnahme am Einarm-Segeln vor Hawaii oder von der Operation „Kunststoff“ in Casablanca. Letzteres strengstens GEHEIM und unter Androhung der Todesstrafe - falls er jemals ein Sterbenswörtchen darüber verlieren würde. Nur seiner Mutter hat er davon am Totenbett berichtet - und eben jetzt die staubtrockene Beichte unter dem Einfluss einer noch gut gefüllten Flasche Chantré. Hier nun davon zu berichten, käme auch meinem Todesurteil gleich. Es geht um Macht, Geld und Einfluss. Peter war das unsichtbare Bindeglied einer schier unendlichen Meldekette für die unterschiedlichsten Geheimdienste. Wirtschaftsspionage, Waffenhandel, Geldwäsche ... das ganze Portfolio für eine funktionierende Unterwelt. Peter ... immer wieder Peter ... fast schon altklug präsentiert er mir eine atemberaubende Geschichte nach der anderen! Seemannsgarn am Sund! Die frisch gestopfte Pfeife wippt kunstvoll in seiner rechten Hand, beide Augen zusammengekniffen und funkelnd vor Begierde. Seine Fantasie tanzt auf nassen Planken und alles was er sagt ist ein ausdauernder Abrieb von gedanklicher Wulst. Kein einziges Wort darf man ihm jetzt glauben, keinen Pfennig ist sein Geschwätz mehr wert. Hier am Sund, am Leckmaul des Meeres und zwischen dem schrillen Gebell dreister frecher Möwen kann der gute Peter nur noch irrsinnigen Matsch anrühren. Mir fehlen die Worte in diesem Labyrinth der Prahlerei!