Dienstag, 30. September 2025

ALTE MENSCHEN.



Alte Menschen wellen sich, welken nach und nach - und manchmal fallen sie einfach so in sich zusammen. Mir gegenüber sitzt einer von jenen, denen die Zeit mit ihrer Großzügigkeit und Gnade entgegenkam. Die kleinen Augen blinken und blitzen noch immer lebendig und mit einem milden Blick durch den langen Gang des Zugabteils. Ein goldener Siegelring steckt umwachsen von weicher Haut an seinem dafür vorgesehenen Finger. Schwarze, schuppige Schiebermütze - eine ausladende Jacke aus künstlichem Leder, olivenfarbige Cordhose sowie der frisch-herbe Geruch von brennendem Rasierwasser sind weitere Kennzeichen. Sein Leben liegt vor mir wie eine eichene, gut verschlossene Truhe. Oder aber eine tief ausgehobene Fallgrube. Wir kennen die Menschen als solche - im Einzelnen bleiben Sie mir jedoch immer ein Rätsel. Das scheint mir auch keine völlig neue Erkenntnis - im Gegenteil: Banales bleibt banal. Es gehört nur eben als solches an seinen angestammten Platz und nicht in ein pathetisches Durcheinander. So bleibt alles in seiner Ordnung und mit ihr fühle ich mich sicher. Von der Geburt hinüber ins Altern, aus dem Kreißsaal heraus katapultiert um sich Jahre später in die Hände pflegender Kettenraucher zu geben. Am Anfang wie am Ende verstummt unser Wille. Oder er wird schlichtweg überhört.

Ein Militär-Psychologe umriss seine seelsorgerischen Künste einmal damit, seinem Klienten folgende Realität zu präsentieren: "Sie werden ein Krüppel bleiben, finden sie sich damit ab"!
Das Mädchen vor mir ist kaum zwanzig Jahre jung. Lange Rastas schlängeln sich aus einer weinroten, wollenen Street-Work-Mütze. Seeblaue, große Augen leuchten wie aus einem klaren Himmel heraus. Das Buch in ihren Händen trägt den Titel "Horror-Stories" und ist gut vier Zentimeter dick. Nebenbei beißt Sie kraftvoll-energisch in einen frühreifen, sattgrünen Apfel.

Mittwoch um 7:44 Uhr. Zwischen den Sitzen ist kein Platz. Breite Ärsche formieren sich, berühren einander und ungeniert dringt das Gefühl intensiver Nähe von Mensch zu Mensch. Es knistert Aluminiumfolie, der Geruch von Banane zementiert die Geruchssinne - es ist Berufsverkehr und nie werden sich fremde Frauen wie Männer näher sein. Die Leberwurst-Schnitte ist mit vier kräftige Bissen verschlungen worden.

Der Morgen hält die üblichen Augenringe bereit. Alte Menschen sehen sich madig und überhaupt in einem seltsamen, fahlem Licht. Um diese Zeit gibt es wenige ganz alte Menschen hier. Vermutlich quälen sich diese gerade aus ihren Steppdecken oder schlurfen durch einen kalten Flur in Richtung Toilette. Mein Großvater hackte früher immer das Holz - noch vor dem Morgengrauen. Später feuerte er den Ofen an, setzte Kaffee auf und raschelte mit der Tageszeitung. Eine mühsame, gute Zeit. Die Finger fast blau vor Kälte, rauchender Atem, kleine Tränen in den Augen. Essenzielle Tage ... wie massiv gezimmert für eine sentimentale Kindheitserinnerung.

Es scheint, als ginge es mit einem U-Boot in die unendliche Tiefe hinab. Stille und Leere überall - einzig das leise Rotieren der Motoren sowie der leichte Trommelwirbel unserer Herzen künden vom Leben. Die Zeit, also jene die uns bleibt, geht in einem ganz unterschiedlichen Tempo vornweg. Alte Menschen (damit schließe ich diesen Text) sollten bestenfalls und aus ganz natürlichen Beweggründen des Lebens müde sein. Dann hat alles seinen Platz.

Freitag, 26. September 2025

LIEBE UND SO WEITER.



Peter saß aufrecht an der Bar. Das kam selten vor. Peter teilte sich sowohl das Bier als auch den Schnaps diszipliniert ein. Das hatte einen guten Grund. Er war verliebt. In die fast gleichaltrige Frau neben ihm. Sie saß ebenfalls aufrecht. Es gab gegenseitige Bekundungen von Interesse. Wie es der Zufall wollte, hatten sie viele Gemeinsamkeiten. Sie war toll. Vor allem immer dann, wenn sie traurige Kindheitserinnerungen schilderte. Dann bekamen ihre Augen einen bemitleidenswerten Glanz und Peter fand das hübsch. Der Wirt nickte ihm immer wieder aufmunternd zu. Es waren nicht mehr viele im Gastraum. Die Gespräche drehten sich um Vergangenheit und die Bewältigung des Alltages. Irgendwann berührte sie vorsichtig seine Hand. Dieser Kontakt blieb dauerhaft bestehen und Peter konnte die kommenden Biere und Schnäpse nur noch einhändig zu sich nehmen. Ihr ging es genau so. Aber das war jetzt unwichtig geworden. Wenn man sich frisch verliebt hat, dann wird einem angenehm mulmig und es kitzelt irgendetwas in der Magengrube. Davon berichten auch viele Schlagerhits übereinstimmend. So ging der Abend dahin und glitt hinüber in eine aufregende Nacht. Sie saßen noch immer am Tresen auf ihren hohen Hockern. Viele Biere und viele Schnäpse waren gekommen und gegangen. Peter war sich nicht mehr so sicher. Seine Haltung wurde etwas lasch. Die Frau neben ihm himmelte ihn an. Sie plante bereits kommende Stunden des lustvollen Miteinanders. Sie streichelte seinen runden Rücken. Der erste Kuss stand im Raum. Die letzten Gäste gingen. Aus dem Radio dudelte Lionel Richie. Zufälle gibt es. Es wurde heiß und Peter saß plötzlich in einer Art Falle. Das Leben hat einmal mehr an Kompliziertheit zugenommen. Zuviel Alkohol in zu kurzer Zeit. Zuviel des Guten. Die Liebe war plötzlich wie eine gierige Krake. Peter bekam es mit der Angst zu tun. Er wollte gehen. Sie verstand das als den auffordernden Rest. Vor der Bar im Morgennebel hielt sie ihn fest. Ihre Zunge schob sich drängend in seinen Mund und fuhrwerkte darin herum. Schwindel überkam den Peter. Er musste gehen. Sofort und endgültig. Wie zur Entschuldigung drückte er noch einmal an ihrem Mantel und den darunter verborgenen Brüsten herum. Dann rannte er los. Als ginge es um Leben und Tod.

Die Straßenlaternen flogen an ihm vorbei. Er suchte schnellstmöglich das Weite. Peter war in Sachen Liebe schon immer ein Hasenfuß. Ganz nah bis ans Feuer - aber daran verbrennen? Nein. Er möchte dieser Frau nicht noch einmal begegnen. Zu viele Verbindlichkeiten und Versprechungen standen im Raum. Liebe fühlte sich anfangs stets großartig an. Dann öffneten sich jedoch immer Regelwerke. Die üblichen Abläufe. Das ewige Spiel mit dem stets unsicheren Ausgang. Peter wuchs das auf Dauer über den Kopf. Er saß jetzt am Ufer des Stadtkanals und stierte mit verquollenen Augen auf treibendes Holz. Dieser Anblick sorgte für etwas Ruhe in seinem schmerzenden Schädel. Müdigkeit befiel ihn. Die Frau tat ihm leid. Er kam sich vor wie ein Zechpreller. Ein richtiger feiger Lappen. So war das mit ihm. Ein Leben lang Katz und Maus. Nichts wurde konkret. Ein flacher Stein verließ die Umklammerung seiner rechten Hand und flog zitternd durch den Dunst der Frühe. Auf der Wasseroberfläche zogen Linien lauter wandernde Kreise. Das würde sich wieder beruhigen. Dafür lag der Stein jetzt für immer auf dem dunklen Grund. Wie seltsam sich all das anfühlte. Eigentlich war alles was er tat banal. Die großen Kriege führten andere. Er grübelte zu viel. Aber das führte ja letztlich zu nichts. Er musste jetzt die Bar für eine Weile meiden.

Dienstag, 23. September 2025

DIE WIEDERHOLUNG.



Der Türrahmen hält mich auf. In meinem Kopf ein versteinerter Schmerz. Ein verhüllter Mensch kniet stumm im Korridor. Der Kühlschrank steht offen. Die Orientierung fällt mir schwer. Am Himmel bauschen sich orangene Wolken auf. Ein eichener Schrank stellt sich in meinen Weg. Die alten Teppiche sind in Bewegung.

Mir ist, als spalte sich mein Schädel. So als bräche man einen kräftigen Äpfel mit beiden Händen in zwei Hälften. Im Ausguss klebt geronnenes Blut. Überall die halb gelesenen Bücher ... Als die Sirene zu dröhnen beginnt, lege ich mich flach auf die kalten Fliesen des Badezimmers.

Eingeklemmt zwischen zwei muskulösen Schenkeln die frisch gewaschene Bettdecke. Mein Körper seitlich zur Wand. Ein Schlaf in unendlicher Tiefe, lange Aussetzer beim Atmen. Ein leichter Wind streicht den behaarten Rücken. Zwei Fliegen wandeln über die matten Schulterblätter hin und her. Ein Traum aus Beton und Zuckerwatte, scharfen Säbeln und saftigen Küssen, prallen Brüsten und ausgefallenen Zähnen ... unbeweglich liegt der Mensch. Ich bin es nicht. Du bist es nicht. Niemand ist gemeint.

Jetzt ist wieder alles dunkel. Die Wiederholung fängt an. Gleiche Zeit, gleicher Ort. Mein Herz verfärbt sich schwarz. Die Musik ist aus. Andächtig schweigen die Bäume. Ein gleichmäßig verlaufender Nebel zieht heran und verschlingt die Konturen eines Alptraumes. Wieder knalle ich zuerst gegen den Türrahmen. Danach verliere ich das Gleichgewicht und etwas später meine Stimme. Die Innenseite des Kühlschrankes offenbart verheißende Wirkstoffe. Nichts hilft. Das weiß ich. Mein Blick sucht das Zimmer ab. Es ist Zeit zu gehen obwohl ich bleiben möchte. Gott hat sein Schwert an beiden Seiten frisch geschliffen und schwingt es ohne Widerstand durch die schwülen Lüfte.

Sonntag, 21. September 2025

ZECKEN-MANN



Monolog eines zugestiegenen Fahrgastes im Harz/Elbe/Express zwischen Halle an der Saale und Könnern:

“Komme gerade aus dem Krankenhaus. Zecke zwischen den Zehen gehabt. Hatte schon Ableger gebildet. Sah übel aus, war ganz dick und rot. Ich bin zu den Bullen und hab das gezeigt ... außerdem wurde mir immer heißer und ganz schwindlig. Die haben dann den Notarzt gerufen. Im Krankenhaus bekam ich dann sofort eine Spritze. Von da an ging es mir besser. Die Bullen durften auch nicht mehr in ihren Einsatzwagen, musste erst gereinigt und desinfiziert werden. Üble Sache. Musst mal googeln, “Zecken”, es gibt über 12 verschiedene Viecher von denen. Parasiten kann man auch sagen. Und die hatte auch schon Ableger gebildet. Muss ich mir auf dem Feldweg geholt haben. Bin querfeldein über die Feldwege. Der Arzt meinte nur: sechs Tage später und ich wäre abgekratzt. Krass die Viecher. Kleines Mistzeug und große Wirkung. Denkt man nicht.”

Während er mir das alles wie aus einem Guss erzählt, tunkt er nacheinander vier Industrie-Brötchen in einen Gyros-Fertigsalat und mampft wie ausgehungert vor sich hin. Das gesamte Abteil ist geschwängert vom Knoblauch-Gestank und der Schwall an Worten will einfach nicht abebben. Zwischen seinen Ausführungen werfe ich immer wieder ein höfliches “Okay” oder “Hm” ein und untermale dies mit mimisch gekonntem Erstaunen. All das muntert meinen neuen Freund dazu auf, weiter über seinen ganz besonderen Notfall zu rezitieren.

“Kumpel hat vor acht Wochen auch ne Zecke gebissen. Hirnhautentzündung und sechs Wochen Krankenhaus. Übel. Auch nach seiner Entlassung wurde er weiterhin krank geschrieben. Krass was die Viecher anrichten können. Bei Google sprechen die von unterschiedlichen Größen ... manche siehst du kaum, andere sind so groß wie eine Kuppe von ner Stecknadel. Wie gesagt, die Bullen haben die gar nicht erst wieder in ihren Wagen gelassen. So was habe ich noch nie erlebt. Einfach nur Feldweg lang gelaufen, Zack das Vieh zwischen den Zehen, weitere Ableger gebildet ... Bekam dann übelst die Hitze, Blutdruck außer Rand und Band, hin zu den Bullen und danach ab ins Krankenhaus. Arzt meinte nur, nach der Spritze geht es wieder. Bin dann schnell weg gepennt ... war mit Beruhigungsmittel. Als ich wieder aufgewacht bin, war alles wie immer. Die Schwester fragte ob ich damit schon Erfahrung gesammelt hätte ... weil ich wohl gleich richtig reagiert hätte. Wie gesagt, paar Tage später und hopp! Da waren ja auch schon Ableger und mein Fuß wuchs ja fast schon aus dem Turnschuh raus wie so ein Mutant. Einmal Feldweg, bang, Volltreffer”

Der Gyros-Salat, die vier Brötchen: aufgegessen. Jetzt zog er wie einen Joker noch einen Schokoladenriegel hervor und knabberte lustvoll daran. An seiner rechten Wange haftete noch etwas Salatcreme ... der Geruch des Knoblauch schlängelte sich mit Penetranz zwischen den Sitzreihen hindurch. Jetzt war ich nur noch eine Haltestelle von meinem Zielort entfernt und müde vom Zuhören.

“Mach’s gut Meiner. Sinnlos die Zecken. Wie gesagt: einmal Feldweg und Treffer! Inklusive Ableger. Die Bullen wussten auch erst nicht was sie mit so einem Fuß anstellen sollten. Zumal ich kurz davor war umzukippen. Und dann konnten die noch nicht mal wieder weiterfahren. Musste ja erst noch alles innen desinfiziert werden. Keine Ahnung was die Viecher für Gift machen. Muss aber heftig sein. Mach’s gut Meiner, man sieht sich!!!”

“Ja, mach’s gut!”

Freitag, 19. September 2025

GUDRUN!



Gudrun. Wahnsinnig geworden vom Lesen. Verfressen nach Literatur. Gierig und ohne Maß saugten ihre Glubschaugen die Wörter von den Seiten, Wörter aus einer unendlich scheinenden Suppe von Buchstaben ohne jegliche Würze. Die Bretter ihrer Regale bogen sich bedrohlich unter der Last von preiswerten Klebebindungen oder hochwertigen Festeinbänden. Wie fette, starre Tapeten haftete eine ganze Armee von Romanen, Krimis, Kinderbüchern, Lyrik, Märchen und Geschichten an den Wänden jeglicher Räume. Ohne Väterchen Schwerkraft hätte auch die Unschuld der Zimmerdecken dieser Armada von bunten Buchrücken weichen müssen. Gudrun besaß all die Werke wie Ausgeburten ihres eigenen, finsteren Schoßes. Mit dicklichen Fingern langte sie in die Tiefe dieser Ansammlung und fischte mit gekonntem Griff nach weiterer Nahrung für einen fast platzenden Schädel. Mit den Jahren wuchs ihr Kopf zu einem tumorartigen, verwackelten Abbild eines riesenhaften Kürbisses. Die einst kindlich wirkenden Augen verschwanden unter den Hautlappen der Brauen, das Mündchen spitzte sich zu, ihr Kinn verschwand wie unter einer langsam entstandenen Schneewehe. Die Gefahr ging von den Büchern aus: Zu viel Wissen, zu viel Drama, zu viel Prosa und vor allen Dingen viel zu wenig Schlaf. Wie ein heiliges Gelübde, ganz so, als hätte Gott es ihr befohlen, las sie täglich 11 Bücher und schlief mitunter nur ein, zwei Stunden. Am Rande des Wahnsinns, mit einem Hirn aus reinem Matsch und verhornten Pupillen fand man Gudrun schließlich eines Tages leblos unter einem gebrochenem Regal. Leise pfeifend ging ein flacher Atem aus dem winzigen Schlitz ihrer Lippen hervor. Mit allerlei Mühe wurde sie schließlich in ein städtisches Irrenhaus verfrachtet und verlebte dort die übrigen Reste ihres etwas zu kurz geratenen Lebens. Pausenlos erzählte sie in den weiss gekalkten Hallen ihre gespeicherten Absätze und Zusammenfassungen, ohne eine erkennbare, inhaltliche Linie und mit wälzender Fülle von Haupt- und Nebensätzen. Die übrigen Bewohner bekamen die Raserei, drehten und wendeten sich auf den gefliesten Böden wie Würste auf einem zu heißen Grill. Das Personal mied Gudrun, mied ihrem Stakkato, den Gewehrsalven von Wörtern und ließ sie pflegerisch im Stich. So lag Gudrun eines Tages ohne Herzschlag in einem schmuddligen Bett mit geplatztem Schädel. Aus dem gespaltenem Hinterkopf flossen sämige, aufgeweichte Buchstaben wie kalt gelierte Suppe.

Mittwoch, 17. September 2025

IM MOMENT DER NIEDERLAGE.



Wenn sich die Nabelschnur völlig sinnentleert dreifach verfängt und der Teufel in einem viel zu engen Slip das schwächliche Fohlen zu Tode reitet ... Wenn die Nacht viel zu kurz wird, um all das Hochprozentige in sich aufzunehmen und anschließend wieder auszuspeien ... Wenn sich ein und dieselbe Narbe ein für allemal immer wieder öffnet um ihre rötliche Fratze in alle Welt zu reißen ... Wenn sämtliche Hemmnisse als Hass sowie tödliches Imperium in Erscheinung treten und die Liebe, den Frieden und jegliche Wärme unter dem Tritt des Stiefels zu zermalmen droht ... Wenn der letzte Funken Kindheit unter einem kalten Schwall harten Wasser ersäuft ...


Wie lebt es sich dann, hä? Gott, Du verschlossener Bock, Du stinkendes Ungetüm, fragwürdiges Fragment aus gelblicher Gischt, thronender Phallus, fletschender Riemen, Schlagstock der Zeit, du Irrsinn gewordener weißbärtiger Riese irgendwo hinter dem Firmament aus unschuldigem Grau eines abreißenden Himmels: Komm endlich aus Deiner verfluchten Deckung heraus! Mach was du willst ... tritt der Erdkugel in den Hintern ... pack sie in einen Sack und leg diesen um Deine mächtigen Schultern ... Nur mach irgendetwas! Der Aufschrei aus den theologischen Kreisen ist uns sicher, die Glocken läuten für und für: Im Moment der Niederlage ist dem Elenden die Leere gewiss!

Samstag, 13. September 2025

TOD EINES IGELS.



Mein scheuer Blick fällt eher zufällig auf die holprige, mit uralten Feldsteinen gepflasterte Dorfstraße und sieht dort einen schwer verletzten Igel mit halb aufgerauchter Kippe im Mundwinkel. Ich eile zu ihm, streichle behutsam die flachen Stacheln und spreche ihn leise an. Wie es ihm gehe. Ob ich ihm helfen könne.

„Es ist vorbei“ nuschelte der Kleine mit dem Teil seiner Schnauze, welche die Zigarette nicht eingeklemmt hielt. Der Rauch einer würzig-aromatischen NIL zog mir mitten ins Gesicht.
Das soll es nun also gewesen sein. An einem Sonntag im April, auf offener Straße von den Winterreifen eines bulligen LAND ROVERS touchiert, der Unterleib flach wie eine Flunder und der Rest auch nicht gerade vom Glück besudelt.
So sprach der Igel schließlich: „Lass mich diesen Stumpen noch aufrauchen, bringe mir dann eine Sonnenbrille gegen das grelle Mittagslicht und fahr mich mit deiner Rostlaube von Auto zu Gottes linker Seite“!

Kaum das der Winter verging und der Frühling heran getaumelt war, kaum dass der erste Igel aus altem Herbstlaub heraus zu neuem Leben erwachte, fuhr ich also mit meinem zwanzig Jahre altem RENAULT 19 über das schwächliche Herz selbigen Tieres. Zweimal ruckelte es unter den Rädern, die Brille knirschte auffallend laut ... Mir blieb schließlich nichts anderes übrig. Hoffentlich verstehen sie das alle!

Ganz behutsam schloss ich die Fahrertür und trat mit vier großen Schritten auf den leblosen Haufen zu. Die kleineren Stacheln hatten sich wieder aufgerichtet und bewegten sich zärtlich in der noch kühlen Luft. Die NIL rauchte noch schwächlich - genauso breit gequetscht wie sein mittlerweile stiller Genießer. Schließlich fuhr ich vorsichtig mit dem Eiskratzer aus meinem KFZ unter diesen abgeflachten Rundling und klaubte ihn damit vom Stein. Mit fließendem Schwung warf ich das Häufchen Elend in die bereit stehende Restmülltonne meiner drallen Nachbarin. Plötzlich, kurz bevor die graue Klappe zugeschlagen war, hörte ich leise die letzten Worte meines kleinen Freundes ... „Thanks“!

Sonntag, 7. September 2025

ICH LIEBE DAS


 

  • wenn der Morgen zügig graut, die Tiefe der Dunkelheit aufweicht - bis schließlich die Pionierin des Lichts mit geballten Fäusten die Rester eines Alptraumes weg boxt
  • wenn grobschlächtige Männer in orangenen Anzügen ihren Morgenkaffee schlürfen und knackend in die Sieben-Uhr-Bockwurst beißen, der Mostrich in malmenden Mundwinkeln haftet und die Gespräche verstummen
  • wenn ein mit göttlicher Gnade gesegneter Frauen-Hintern minutenlang und wie zufällig mein Blickfeld kreuzt ... mechanisch und melodisch zugleich -rhythmisch mit der Welt im Reinen
  • wenn jede prophezeite Niederlage urplötzlich wie unvermutet in das Gloria eines viel umjubelten Sieges verwandelt wird und die Außenseiter des Lebens den Ausrutscher ins Glück ertragen dürfen
  • wenn die sensible Nadel des Schallplattenspielers sanft nach unten gleitet und wie von Geisterhand durch die zauberhafte Rille zieht ... noch dazu, wenn diese die Töne von John Coltrane meinen Ohren bereitwillig zur Verfügung stellt
  • wenn der Freitag sein überaus freundliches Gesicht gegen Nachmittag und mit einem kindlichen Lächeln zeigen wird, so dass die Planungen für einen Start in das Wochenende voller Blüten und kirrer Ideen ist
  • wenn ich in einem fast leerem Zugabteil sitzen darf und an kleinen Drinks nippend durch ein feines Buch fahre, zwischendurch einschlafe oder die vorbeifliegenden Landschaften betrachten kann
  • wenn der feine Grieß eines Feldweges bei jedem Schritt aufstiebt, majestätische Fasane urplötzlich aus den hohen Gräsern aufschrecken und schwerfällig davon flattern
  • wenn die Gläser klingen ... in einer alten Studentenkneipe, grobe Reden gehalten werden, die Sprüche auf dem verklebtem Tisch knallen und schließlich in einem Meer von Umarmungen ewige Kumpanei beschworen wird
  • wenn meine Hände den hölzernen Griff des Spatens packen und ein ganzer, verhangener Vormittag unter dem Schweiße meines Angesichtes erzittert, weil die harte Arbeit mit der lieben Muttererde ihren Tribut zollt
  • wenn nichts als absolute Stille die kleinen, zarten Geräusche meiner natürlichen Umwelt freigeben ... das feixende Geschrei der Raben, die melancholischen Rufe vom Bussard, das aufgeregte Geraschel der Wühlmäuse, kaum merkliches Flügelschlagen von Schwalben und Rotschwänzen
  • wenn zärtlich punktierter Regen vom Dunkelblau des Himmels herabschwebt, alles beträufelt und vorsichtig benetzt bis auch die letzte neugierige Nacktschnecke ihr großes Glück begriffen hat
  • wenn die Liebe wie ein unaufhörlicher Dampfhammer die Kälte des Lebens bearbeitet ... alles durchdringt was zugemauert einem seltsamen Sinn zu dienen scheint
  • wenn eine Reise meine Neugier weckt und sie letztlich nie ganz stillen kann ... denn dann bleibt das Gefühl ewiger Sehnsucht nach der Ferne
  • wenn ein unverblümtes, nichts einforderndes Lächeln auf meine Augen trifft und die sündigen Gedanken in der Schatzkammer als ewige Sehnsucht belässt.
  • wenn glasklare, kalte Luft durch meine Nasenlöcher fließt und einen kurzen Augenblick später als wüster, ungezähmter Rauch dem Rachen entströmt ...
  • wenn ein guter Braten mit einer mächtigen Kruste seine Fühler nach der Leere meines Magens streckt ... in einer Form entgegenkommender Begierde ... in redseliger Gesellschaft bei dampfenden Rosenkohl in pulsierender Butter ... herber Rotwein in kristallenen Gläsern ... Um Gnade bettelnde Lenden inklusive.
  • wenn das liebe, liebe Meer meine Eier packt, mich herumwirbelt und dann wieder berauschend trägt ... salzige Luft über mich hinweg zieht, die dunklen Wolken auch aller letzte Strandbesucher vertreiben ... Gischt den Schaum schlägt und in einzelnen Fetzen ins Landesinnere trägt
  • wenn das Elend meines alten Leibes matt und schlaff auf ein frisch bezogenes, kaltes Bett nieder sinkt um dort sogleich ins Nirvana abzudriften ... den Geist im Handgepäck ... schönen Träumen auflauernd ... immer tiefer fallend um schließlich der Reinheit einer geblümten Wiese zu erliegen

Samstag, 6. September 2025

MORD IN RIO



Mit einem alten stumpfen und rostigen Löffel also ... kein geschmeidiges, handliches, ultrascharfes Langmesser aus einer edlen Schmiede - dieser Tod wollte kein Mitleid mit dem Wahl der Mittel. Der Kommissar hatte sich schon lange nicht mehr gewaschen und zwischen seinem schwärzlichen Brusthaar moderte bereits ein getupfter rosa Hautpilz. Es juckte ihn furchtbar da und dort - vor allem aber unterhalb des zu kurz geratenen Halses. Er grübelte über seine letzten Wetteinsätze, ging die ganzen Systeme durch, verwarf bereits getroffene Entscheidungen und setzte auf neue Nummern und Zahlen.

Der Löffel stak völlig verbogen in der Decke des eingedrückten Schädels. Rio war ein Rattennest mit grellen Bikinis und viel zu viel gezeigtem, braun gebranntem Fleisch. Die Mittagshitze würgte den Kommissar, der muchtende Schweiß perlte sich zwischen aufgekratzten Malen auf der dünnen Haut. Heimlich langte seine Hand in die linke Manteltasche und nestelte einen silbernen, frisch aufgefüllten Flachmann heraus. Er nahm die brennende Flüssigkeit in einem Zug, verzog kurz zuckend sein Gesicht und tat dann als wäre nichts geschehen. Jeder wusste woran man war.

Rio hielt den Kommissar auf Trab, Rio war eben Rio - eine Dirne im ewigen Dienst, ansehnlich und abstoßend zugleich. Es genügte ein genauer Blick auf die Details. Um Wesentliches ging es auch bei der Leiche - vor allem deren Identität. Beim näheren Betrachten lag da weder Kind noch Mann, weder Frau noch Greis. Der eingerammte Löffel schien nicht nur den Kopf sondern auch den gesamten Bau des Körpers verändert zu haben. Ein seltsamer Anblick, verwirrend ulkig und der Kommissar verhustete sich ein schäbiges Lachen. Er hatte genug gesehen und ermittelt. Der Tod hatte für ihn etwas Pragmatisches und in jeder Tragik lag ein gewisser Witz.

Am Abend klebte das steif gewordene Hemd nur noch wenig, aufkommender Wind und kühlere Temperaturen hatten es etwas trocknen lassen. Der Kommissar erhielt einen wichtigen Anruf den er nicht annahm. Er wollte etwas essen und danach ein wenig schlafen. Rio erlaubte keinerlei Ruhe - aber er stand über den Dingen und zog sich säuberlich eine Linie aus weißlichem Pulver. Eine angebrochene Wasserflasche kullerte unter das Sofa und unterhalb seiner Mansarde kippte eine schwächliche Straßentaube vornüber.

Der Mord wurde innerhalb von 48 Stunden zu den Akten gelegt. Ein Transvestit hatte im Überschwang seiner verletzten Gefühle die Konkurrenz eliminiert und gerade nichts besseres zur Hand, als einen alten vergammelten Kokslöffel. Manche Geschichten sind nicht traurig oder in sonst einer Art bewegend - für den Kommissar war diese einfach keinerlei Erwähnung wert. Er rollte die Dokumente zu einem festen Schlaginstrument und jagte die fetten Fliegen in ihren bunten schillernden Kostümen durch das vernebelte Büro.
Er hatte ein Motiv. Es war Hass und damit Mord. Ein Mord in Rio.

Donnerstag, 4. September 2025

SPLITTER DORNEN FETZEN



Wenn der letzte Zug abgefahren ist, bleibt der Zuspätkommende auf der Strecke. Die Moral von einer Geschichte bewirkt in den meisten Fällen langfristig rein gar nichts. Im übertragenen Sinne humpeln die Menschen zu Gott, rennen aber dem Teufel hinterher. Auch das schönste Schiff würde mit einem stattlichen Leck recht bald untergehen. Es dürfte nicht möglich sein, dem Weltfrieden mit schlichten Hoffnungen hinterher zu träumen. Nicht alles was zu Boden fällt wird zerstört - hinterlässt aber für den kurzen Augenblick das Geräusch eines Kontaktes. Bei jeder Art von moralischer Korrektur droht im allgemeinen die Gefahr eines Rückfalls. Die Schwäche lässt uns ewig schlafen. Die Sirene auf dem Dach verkündet uns ein ums andere Mal etwas Ungemach wenn nicht sogar Unheil. Normalerweise schrecken wir beim Anblick von Blut zumindest achtsam auf. Wir nehmen Säuglinge und alte Menschen auf eine ignorante Art und Weise nie ganz ernst. Eine Krebsdiagnose sorgt für frische Risse im härtesten Glas. Der Kapitän verlässt nur ungern als Letzter sein sinkendes Schiff. Wenn ich stolpere dürfte ein Fallen auch erlaubt sein. Der gute Vorsatz gelingt am besten im Suff. Das Korn auf den Feldern wiegt mit den Köpfen und meint weder ja noch nein. Wenn wir flögen wie die Vögel sähe alles anders aus. Wenn man ganz fest etwas glaubt, verlieren sich die letzten Zweifel. Die Liebe höret nimmer auf - aber macht sich ständig rar. Trübselige Gedanken benötigen furchtlose Mütter. Eine Sehnsucht schmerzt mitunter stärker als die Verbrennung von Erinnerungen. Lydia muss sterben.