Alte Menschen wellen sich, welken nach und nach - und manchmal fallen sie einfach so in sich zusammen. Mir gegenüber sitzt einer von jenen, denen die Zeit mit ihrer Großzügigkeit und Gnade entgegenkam. Die kleinen Augen blinken und blitzen noch immer lebendig und mit einem milden Blick durch den langen Gang des Zugabteils. Ein goldener Siegelring steckt umwachsen von weicher Haut an seinem dafür vorgesehenen Finger. Schwarze, schuppige Schiebermütze - eine ausladende Jacke aus künstlichem Leder, olivenfarbige Cordhose sowie der frisch-herbe Geruch von brennendem Rasierwasser sind weitere Kennzeichen. Sein Leben liegt vor mir wie eine eichene, gut verschlossene Truhe. Oder aber eine tief ausgehobene Fallgrube. Wir kennen die Menschen als solche - im Einzelnen bleiben Sie mir jedoch immer ein Rätsel. Das scheint mir auch keine völlig neue Erkenntnis - im Gegenteil: Banales bleibt banal. Es gehört nur eben als solches an seinen angestammten Platz und nicht in ein pathetisches Durcheinander. So bleibt alles in seiner Ordnung und mit ihr fühle ich mich sicher. Von der Geburt hinüber ins Altern, aus dem Kreißsaal heraus katapultiert um sich Jahre später in die Hände pflegender Kettenraucher zu geben. Am Anfang wie am Ende verstummt unser Wille. Oder er wird schlichtweg überhört.
Dienstag, 30. September 2025
ALTE MENSCHEN.
Freitag, 26. September 2025
LIEBE UND SO WEITER.
Peter saß aufrecht an der Bar. Das kam selten vor. Peter teilte sich sowohl das Bier als auch den Schnaps diszipliniert ein. Das hatte einen guten Grund. Er war verliebt. In die fast gleichaltrige Frau neben ihm. Sie saß ebenfalls aufrecht. Es gab gegenseitige Bekundungen von Interesse. Wie es der Zufall wollte, hatten sie viele Gemeinsamkeiten. Sie war toll. Vor allem immer dann, wenn sie traurige Kindheitserinnerungen schilderte. Dann bekamen ihre Augen einen bemitleidenswerten Glanz und Peter fand das hübsch. Der Wirt nickte ihm immer wieder aufmunternd zu. Es waren nicht mehr viele im Gastraum. Die Gespräche drehten sich um Vergangenheit und die Bewältigung des Alltages. Irgendwann berührte sie vorsichtig seine Hand. Dieser Kontakt blieb dauerhaft bestehen und Peter konnte die kommenden Biere und Schnäpse nur noch einhändig zu sich nehmen. Ihr ging es genau so. Aber das war jetzt unwichtig geworden. Wenn man sich frisch verliebt hat, dann wird einem angenehm mulmig und es kitzelt irgendetwas in der Magengrube. Davon berichten auch viele Schlagerhits übereinstimmend. So ging der Abend dahin und glitt hinüber in eine aufregende Nacht. Sie saßen noch immer am Tresen auf ihren hohen Hockern. Viele Biere und viele Schnäpse waren gekommen und gegangen. Peter war sich nicht mehr so sicher. Seine Haltung wurde etwas lasch. Die Frau neben ihm himmelte ihn an. Sie plante bereits kommende Stunden des lustvollen Miteinanders. Sie streichelte seinen runden Rücken. Der erste Kuss stand im Raum. Die letzten Gäste gingen. Aus dem Radio dudelte Lionel Richie. Zufälle gibt es. Es wurde heiß und Peter saß plötzlich in einer Art Falle. Das Leben hat einmal mehr an Kompliziertheit zugenommen. Zuviel Alkohol in zu kurzer Zeit. Zuviel des Guten. Die Liebe war plötzlich wie eine gierige Krake. Peter bekam es mit der Angst zu tun. Er wollte gehen. Sie verstand das als den auffordernden Rest. Vor der Bar im Morgennebel hielt sie ihn fest. Ihre Zunge schob sich drängend in seinen Mund und fuhrwerkte darin herum. Schwindel überkam den Peter. Er musste gehen. Sofort und endgültig. Wie zur Entschuldigung drückte er noch einmal an ihrem Mantel und den darunter verborgenen Brüsten herum. Dann rannte er los. Als ginge es um Leben und Tod.
Dienstag, 23. September 2025
DIE WIEDERHOLUNG.
Der Türrahmen hält mich auf. In meinem Kopf ein versteinerter Schmerz. Ein verhüllter Mensch kniet stumm im Korridor. Der Kühlschrank steht offen. Die Orientierung fällt mir schwer. Am Himmel bauschen sich orangene Wolken auf. Ein eichener Schrank stellt sich in meinen Weg. Die alten Teppiche sind in Bewegung.
Sonntag, 21. September 2025
ZECKEN-MANN
Monolog eines zugestiegenen Fahrgastes im Harz/Elbe/Express zwischen Halle an der Saale und Könnern:
Freitag, 19. September 2025
GUDRUN!
Gudrun. Wahnsinnig geworden vom Lesen. Verfressen nach Literatur. Gierig und ohne Maß saugten ihre Glubschaugen die Wörter von den Seiten, Wörter aus einer unendlich scheinenden Suppe von Buchstaben ohne jegliche Würze. Die Bretter ihrer Regale bogen sich bedrohlich unter der Last von preiswerten Klebebindungen oder hochwertigen Festeinbänden. Wie fette, starre Tapeten haftete eine ganze Armee von Romanen, Krimis, Kinderbüchern, Lyrik, Märchen und Geschichten an den Wänden jeglicher Räume. Ohne Väterchen Schwerkraft hätte auch die Unschuld der Zimmerdecken dieser Armada von bunten Buchrücken weichen müssen. Gudrun besaß all die Werke wie Ausgeburten ihres eigenen, finsteren Schoßes. Mit dicklichen Fingern langte sie in die Tiefe dieser Ansammlung und fischte mit gekonntem Griff nach weiterer Nahrung für einen fast platzenden Schädel. Mit den Jahren wuchs ihr Kopf zu einem tumorartigen, verwackelten Abbild eines riesenhaften Kürbisses. Die einst kindlich wirkenden Augen verschwanden unter den Hautlappen der Brauen, das Mündchen spitzte sich zu, ihr Kinn verschwand wie unter einer langsam entstandenen Schneewehe. Die Gefahr ging von den Büchern aus: Zu viel Wissen, zu viel Drama, zu viel Prosa und vor allen Dingen viel zu wenig Schlaf. Wie ein heiliges Gelübde, ganz so, als hätte Gott es ihr befohlen, las sie täglich 11 Bücher und schlief mitunter nur ein, zwei Stunden. Am Rande des Wahnsinns, mit einem Hirn aus reinem Matsch und verhornten Pupillen fand man Gudrun schließlich eines Tages leblos unter einem gebrochenem Regal. Leise pfeifend ging ein flacher Atem aus dem winzigen Schlitz ihrer Lippen hervor. Mit allerlei Mühe wurde sie schließlich in ein städtisches Irrenhaus verfrachtet und verlebte dort die übrigen Reste ihres etwas zu kurz geratenen Lebens. Pausenlos erzählte sie in den weiss gekalkten Hallen ihre gespeicherten Absätze und Zusammenfassungen, ohne eine erkennbare, inhaltliche Linie und mit wälzender Fülle von Haupt- und Nebensätzen. Die übrigen Bewohner bekamen die Raserei, drehten und wendeten sich auf den gefliesten Böden wie Würste auf einem zu heißen Grill. Das Personal mied Gudrun, mied ihrem Stakkato, den Gewehrsalven von Wörtern und ließ sie pflegerisch im Stich. So lag Gudrun eines Tages ohne Herzschlag in einem schmuddligen Bett mit geplatztem Schädel. Aus dem gespaltenem Hinterkopf flossen sämige, aufgeweichte Buchstaben wie kalt gelierte Suppe.
Mittwoch, 17. September 2025
IM MOMENT DER NIEDERLAGE.
Wenn sich die Nabelschnur völlig sinnentleert dreifach verfängt und der Teufel in einem viel zu engen Slip das schwächliche Fohlen zu Tode reitet ... Wenn die Nacht viel zu kurz wird, um all das Hochprozentige in sich aufzunehmen und anschließend wieder auszuspeien ... Wenn sich ein und dieselbe Narbe ein für allemal immer wieder öffnet um ihre rötliche Fratze in alle Welt zu reißen ... Wenn sämtliche Hemmnisse als Hass sowie tödliches Imperium in Erscheinung treten und die Liebe, den Frieden und jegliche Wärme unter dem Tritt des Stiefels zu zermalmen droht ... Wenn der letzte Funken Kindheit unter einem kalten Schwall harten Wasser ersäuft ...
Samstag, 13. September 2025
TOD EINES IGELS.
Mein scheuer Blick fällt eher zufällig auf die holprige, mit uralten Feldsteinen gepflasterte Dorfstraße und sieht dort einen schwer verletzten Igel mit halb aufgerauchter Kippe im Mundwinkel. Ich eile zu ihm, streichle behutsam die flachen Stacheln und spreche ihn leise an. Wie es ihm gehe. Ob ich ihm helfen könne.
Sonntag, 7. September 2025
ICH LIEBE DAS
- wenn der Morgen zügig graut, die Tiefe der Dunkelheit aufweicht - bis schließlich die Pionierin des Lichts mit geballten Fäusten die Rester eines Alptraumes weg boxt
- wenn grobschlächtige Männer in orangenen Anzügen ihren Morgenkaffee schlürfen und knackend in die Sieben-Uhr-Bockwurst beißen, der Mostrich in malmenden Mundwinkeln haftet und die Gespräche verstummen
- wenn ein mit göttlicher Gnade gesegneter Frauen-Hintern minutenlang und wie zufällig mein Blickfeld kreuzt ... mechanisch und melodisch zugleich -rhythmisch mit der Welt im Reinen
- wenn jede prophezeite Niederlage urplötzlich wie unvermutet in das Gloria eines viel umjubelten Sieges verwandelt wird und die Außenseiter des Lebens den Ausrutscher ins Glück ertragen dürfen
- wenn die sensible Nadel des Schallplattenspielers sanft nach unten gleitet und wie von Geisterhand durch die zauberhafte Rille zieht ... noch dazu, wenn diese die Töne von John Coltrane meinen Ohren bereitwillig zur Verfügung stellt
- wenn der Freitag sein überaus freundliches Gesicht gegen Nachmittag und mit einem kindlichen Lächeln zeigen wird, so dass die Planungen für einen Start in das Wochenende voller Blüten und kirrer Ideen ist
- wenn ich in einem fast leerem Zugabteil sitzen darf und an kleinen Drinks nippend durch ein feines Buch fahre, zwischendurch einschlafe oder die vorbeifliegenden Landschaften betrachten kann
- wenn der feine Grieß eines Feldweges bei jedem Schritt aufstiebt, majestätische Fasane urplötzlich aus den hohen Gräsern aufschrecken und schwerfällig davon flattern
- wenn die Gläser klingen ... in einer alten Studentenkneipe, grobe Reden gehalten werden, die Sprüche auf dem verklebtem Tisch knallen und schließlich in einem Meer von Umarmungen ewige Kumpanei beschworen wird
- wenn meine Hände den hölzernen Griff des Spatens packen und ein ganzer, verhangener Vormittag unter dem Schweiße meines Angesichtes erzittert, weil die harte Arbeit mit der lieben Muttererde ihren Tribut zollt
- wenn nichts als absolute Stille die kleinen, zarten Geräusche meiner natürlichen Umwelt freigeben ... das feixende Geschrei der Raben, die melancholischen Rufe vom Bussard, das aufgeregte Geraschel der Wühlmäuse, kaum merkliches Flügelschlagen von Schwalben und Rotschwänzen
- wenn zärtlich punktierter Regen vom Dunkelblau des Himmels herabschwebt, alles beträufelt und vorsichtig benetzt bis auch die letzte neugierige Nacktschnecke ihr großes Glück begriffen hat
- wenn die Liebe wie ein unaufhörlicher Dampfhammer die Kälte des Lebens bearbeitet ... alles durchdringt was zugemauert einem seltsamen Sinn zu dienen scheint
- wenn eine Reise meine Neugier weckt und sie letztlich nie ganz stillen kann ... denn dann bleibt das Gefühl ewiger Sehnsucht nach der Ferne
- wenn ein unverblümtes, nichts einforderndes Lächeln auf meine Augen trifft und die sündigen Gedanken in der Schatzkammer als ewige Sehnsucht belässt.
- wenn glasklare, kalte Luft durch meine Nasenlöcher fließt und einen kurzen Augenblick später als wüster, ungezähmter Rauch dem Rachen entströmt ...
- wenn ein guter Braten mit einer mächtigen Kruste seine Fühler nach der Leere meines Magens streckt ... in einer Form entgegenkommender Begierde ... in redseliger Gesellschaft bei dampfenden Rosenkohl in pulsierender Butter ... herber Rotwein in kristallenen Gläsern ... Um Gnade bettelnde Lenden inklusive.
- wenn das liebe, liebe Meer meine Eier packt, mich herumwirbelt und dann wieder berauschend trägt ... salzige Luft über mich hinweg zieht, die dunklen Wolken auch aller letzte Strandbesucher vertreiben ... Gischt den Schaum schlägt und in einzelnen Fetzen ins Landesinnere trägt
- wenn das Elend meines alten Leibes matt und schlaff auf ein frisch bezogenes, kaltes Bett nieder sinkt um dort sogleich ins Nirvana abzudriften ... den Geist im Handgepäck ... schönen Träumen auflauernd ... immer tiefer fallend um schließlich der Reinheit einer geblümten Wiese zu erliegen
Samstag, 6. September 2025
MORD IN RIO
Mit einem alten stumpfen und rostigen Löffel also ... kein geschmeidiges, handliches, ultrascharfes Langmesser aus einer edlen Schmiede - dieser Tod wollte kein Mitleid mit dem Wahl der Mittel. Der Kommissar hatte sich schon lange nicht mehr gewaschen und zwischen seinem schwärzlichen Brusthaar moderte bereits ein getupfter rosa Hautpilz. Es juckte ihn furchtbar da und dort - vor allem aber unterhalb des zu kurz geratenen Halses. Er grübelte über seine letzten Wetteinsätze, ging die ganzen Systeme durch, verwarf bereits getroffene Entscheidungen und setzte auf neue Nummern und Zahlen.
Donnerstag, 4. September 2025
SPLITTER DORNEN FETZEN
Wenn der letzte Zug abgefahren ist, bleibt der Zuspätkommende auf der Strecke. Die Moral von einer Geschichte bewirkt in den meisten Fällen langfristig rein gar nichts. Im übertragenen Sinne humpeln die Menschen zu Gott, rennen aber dem Teufel hinterher. Auch das schönste Schiff würde mit einem stattlichen Leck recht bald untergehen. Es dürfte nicht möglich sein, dem Weltfrieden mit schlichten Hoffnungen hinterher zu träumen. Nicht alles was zu Boden fällt wird zerstört - hinterlässt aber für den kurzen Augenblick das Geräusch eines Kontaktes. Bei jeder Art von moralischer Korrektur droht im allgemeinen die Gefahr eines Rückfalls. Die Schwäche lässt uns ewig schlafen. Die Sirene auf dem Dach verkündet uns ein ums andere Mal etwas Ungemach wenn nicht sogar Unheil. Normalerweise schrecken wir beim Anblick von Blut zumindest achtsam auf. Wir nehmen Säuglinge und alte Menschen auf eine ignorante Art und Weise nie ganz ernst. Eine Krebsdiagnose sorgt für frische Risse im härtesten Glas. Der Kapitän verlässt nur ungern als Letzter sein sinkendes Schiff. Wenn ich stolpere dürfte ein Fallen auch erlaubt sein. Der gute Vorsatz gelingt am besten im Suff. Das Korn auf den Feldern wiegt mit den Köpfen und meint weder ja noch nein. Wenn wir flögen wie die Vögel sähe alles anders aus. Wenn man ganz fest etwas glaubt, verlieren sich die letzten Zweifel. Die Liebe höret nimmer auf - aber macht sich ständig rar. Trübselige Gedanken benötigen furchtlose Mütter. Eine Sehnsucht schmerzt mitunter stärker als die Verbrennung von Erinnerungen. Lydia muss sterben.
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In die aller größte Stille hinein, ins unbegreiflich Stumme, scheinbar ohne jegliche Bewegung und letztlich wie vakuumverpackt ... lärmt ein...
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Alte Menschen wellen sich, welken nach und nach - und manchmal fallen sie einfach so in sich zusammen. Mir gegenüber sitzt einer von jenen, ...
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Der Film hat mich wirklich sehr berührt. Es flossen Tränen auf meine klebrigen Hände (Popcorn!). So schnell konnte man mich berühren! Das st...









