Sonntag, 17. August 2025

JENS IST TOT.



Hallo? Können wir reden? Oder ist da wieder keine Zeit? Keine Geduld? Kein Nerv? Sind die Ideen ausgegangen? Hat alles keinen Sinn mehr? Bleibt alles beim alten? Ist es die Mühe nicht wert? Du kannst mich nicht mehr hören - das stimmt doch oder?

Du sagst, die Ruhe vor dem Sturm sei immer das Beste. Es ist der eine stille Moment, in dem sich alles auflöse und für Bruchteile von Minuten zu nichts entscheiden kann. Auf einer Straße die nur bergauf gehe, bliebe dem Gedanken nichts als die Atemlosigkeit.

Jens ist tot. Das wollte ich dir erzählen! Es geht nicht mehr immer nur um uns - wir zerfallen vor dem Schicksal, rutschen mit unseren Schwierigkeiten vollkommen vom Gipfel der Gefühle. Wer weder zu früh noch zu spät stirbt, dem bleibt weder Verzweiflung noch Zufriedenheit.

Ist das nicht tragisch? Musste das denn sein? War das nötig? Auf dem Weg zur Schlachtung fragt sich das kein Schwein. Dein Gejammer ist nur die Gier nach Leben ... einem Dasein wo möglichst alles passen muss. Du würdest Dir gern selbst am Arsche lecken - hab ich recht?

Da knallt auch schon die Tür, ein Schlüssel dreht sich mit Vehemenz und mit unerbittlicher Härte. Allein das Geräusch spricht für sich und schließt mich für die Zukunft aus. Jetzt rennst du gleich die Straße runter, drehst dich natürlich nicht noch einmal um - diesen  Fehler gilt es zu vermeiden.

Donnerstag, 14. August 2025

EIN GUTER FREUND.



Ein guter Freund

Im Ostpreußischen geboren ... an einem siebzehnten März 1926 ... was für eine helle Freude für jeden der sich etwas mit Literatur beschäftigt ... wurde mir Siegfried Lenz zu einem sehr guten ... möchte sagen ... vertrautem Freunde ... was mich in meiner allgemeinen Verfassung immer ein kleines Stück glücklicher gemacht hat.

Es sind kluge und sehr bedachte Bücher ... einig in ihrer niveauvollen reinlichen Sprache ... sehr fein formuliert und bisweilen von größter Zärtlichkeit ... auf Kitsch verzichtend und niemals belehrend ... eher erhellend. Die biblischen Elemente Glaube, Liebe und Hoffnung finden sich in allen Werken wohltuend wieder ... ohne die Religionen im allgemeinen zu bedienen ... überhaupt haben Manifeste so gar keine Chance.

Der Deutsche Taschenbuch Verlag veröffentlichte im März 1996 die ungekürzte Ausgabe „Über das Gedächtnis - Reden und Aufsätze“ und forderte damit meine eigene Vorstellungskraft heraus. Für das schmale Büchlein benötigte ich mit aller Mühe und notwendig erscheinender Zeit ganze zwei Monate ... Lesen ... Reflexion ... Neubeginn ... Wiederholen ... Notizen ... Nachschlagen ... Unterstreichen ... Pausen ... Überlegen ... Weglegen ... Nachdenken ... Überblättern ... kurze Quälereien ... Überforderung und Erkenntnisse die sich erst einmal setzen mussten wo oft keine Stühle bereit standen.

Lächerliche 212 Seiten in reichlich ausufernden zwei Monaten ... Reden und Aufsätze über das Gedächtnis ... von der Gegenwärtigkeit des Vergangenen ... über Dostojewski dem gläubigen Zweifler ... Erfahrungen beim Wiederlesen ... Etwas über Fantasie ... Heinrich Manns „Kleine Stadt“ ... Sehnsucht und Dauer (über Theodor Storm) ... Weltflucht mit Komfort (Hinweis auf Paul Kornfeld) ... Aufklärer in der Kleinstadt (über Wilhelm Raabe) ... Illusion und Opfer (über Jerzy Andrzejewski) ... Weder Schall noch Rauch (etwas über Namen) ... ein Buch über das man auch sagte, es sei reich an Kenntnis und würde unsere Sympathie gewinnen.

Das Beschwerliche als auch die Leichtigkeit beim Studieren des Büchleins hat mir eigene Grenzen wie auch Lösungen aufgezeigt. Es galt neue Anläufe zu nehmen oder mit dem Rückenwind der eigenen Erkenntnisse möglichst durchzustarten. Es gab schwer zu kauen oder eben leichtere Kost - Lenz kann darin sehr variabel mit dem jeweiligen Intellekt des Lesenden umgehen. Zu keiner Zeit schämte ich mich jedoch meiner eigenen Hürden. Jeder Geist wurde im Verlauf seines Lebens auf höchst individuelle Weise abgespeist. Der Sieg kommt niemals ohne eine Niederlage daher - auf welcher Seite auch immer mein Verständnis vor sich hin spazierte ... es gab stets Futter für die fragende Seele.

Samstag, 9. August 2025

KURVE.



Da hacke ich nun das gute Holz ... und die frisch gespaltenen Scheite fliegen mir nur so um die bläulichen gefrorenen Ohren ... alle Muskeln sind ordentlich angespannt ... der angestrengte Kopf frei von jeglicher Last ... außerhalb der Schieflage ... dringt der Stahl ein ums andere Mal hinein in die festen Fasern ...zerhaut jegliche Abwehrversuche ... schneidet und keilt sich hinein in das Fleisch der Natur.

Die Tage erscheinen und verschwinden plötzlichen wie kleine feine Sätze, gesagt, getan, vergessen. Vielleicht möchten sie das nicht hören geschweige denn wahrnehmen, aber ich wiederhole es dennoch wie einen geölten Psalm: Nichts wird bleiben und so sein wie es gerade ist! Verstehen sie das doch bitte endlich einmal! Daran zu denken oder überhaupt eine Ahnung darüber zu entwickeln, fällt allerdings den meisten Menschen sehr schwer. Das Geheule ist dann jedenfalls immer groß.

Mein Freund Peter beispielsweise hat so gar nichts zu verlieren. Er ist ein selbstbewusster, geradlinig denkender Patron - mit beiden Beinen gut verbunden auf des Mutters Erde. Manchmal glaube ich, das er in einem fort schläft. Auf diese Weise schenkt er dem Dasein nicht so viel Aufmerksamkeit und probt unbewusst für den Verfall danach. Peter macht das schon irgendwie alles richtig. Er ist da unbedarft wie ein tapsiger Vogel oder ein stummer Baum. Hat sich nie etwas genommen und wird auch nichts verlieren müssen.

Jetzt stapele ich die Stücken von Buche, Kiefer und Birke. Mit gewissenhafter Pedanterie puzzle und verkante ich die Scheite, bis eine kleine Mauer aus Holz entsteht. Das hat eine tiefe meditative Wirkung auf meinen wirren Kopf ... dazu der schneidende Wind, die einsetzende Dämmerung und steife Fingerkuppen - all das gibt mir das Gefühl real zu sein. Die Wirklichkeit wird anderen zum Verhängnis ...

Peter kocht sich drei Eier. Bei ihm muss immer alles ungerade sein. Er schneidet sich auch nur an neun Fingern die Nägel oder hat auch nur einen Schuh beim Laufen an. Manchmal liegen in seinem Bett fünf Frauen. Er ist ein klein wenig verrückt, glauben sie mir. Trotzdem wär ich öfter gern wie er - so locker und ohne einen einzigen, verschwendeten Gedanken. Mit seinem dritten Auge studiert er stundenlang glänzende Schmuddelhefte ohne dabei rot zu werden.

Gott sei Dank habe ich inhaltlich die Kurve gut genommen, bin weg von den düsteren Prophezeiungen und traurigen Blicken in die Zukunft. Mit meinem krummen Zeigefinger lassen sich ganz gut die Gewürzgurken aus dem Glas angeln. Das belegte Brot wartet geduldig auf dem etwas verkohltem Holzbrett. Im Kamin berstet die Feuerung mit einem Hagel von glimmenden Funken, stiebt wütend gegen die Schlackewand und wirkt am Ende doch immer wie der ewige Verlierer.

Sonntag, 3. August 2025

MANN AUS DEM MEER.



Windschiefe Zähne in einer Visage aus festem Zement. Auf der schwärzlich getoasteten Mischbrot-Scheibe türmte sich zuckersüße Erdbeermarmelade. Ein zweiter Aufguss dünnen Kaffees drehte sich noch in der geblümten Sammeltasse. Peter klaubte mit seinen groben und viel zu groß geratenen Fingern eine Schmerztablette von der matt gestreiften Igelit-Tischdecke. Sein kantiger Schädel brummte, eine seitlich gelagerte Ader tat sich an der Schläfe besonders hervor. Der Mund sperrte sich auf, schlang nacheinander die Pille, den Kaffee und malmte schließlich die angekohlte Schnitte. Langsam drehte sich sein Kopf zum Fenster hin, seit Jahren ungeöffnet und verdreckt vom Staub der Zeit. Unbescholten schickte die Sonne ihr strahlendes Ich ins innere des Zimmers. Im Lichtkegel drehten sich wie schwerelos kleinste Partikel, abertausende Winzlinge feinster Elemente ... Peter hauchte leicht in ihre friedliche Mitte hinein und sorgte nur allein damit schon für eine furchtbare Unruhe. So einfach war also alles außer Kontrolle zu bringen.

Die "Zeit" wurde mit weichen und stark rußenden Kohlestiften skizziert, der Künstler Matthias aus Elbingerrode machte sich an diesem Thema zu schaffen. Ob nun Endlichkeit oder das Gegenteil davon, sei inhaltlich einmal völlig außen vor gelassen - der fast achtzigjährige studierte Maler und Grafiker konzentrierte sich in der ersten Phase seines Schaffens vor allem auf Linien, lauter unter heftigem Druck ausgepresste Geraden. Dabei brach ihm immer wieder die schwarze Zeichenkohle weg, unterbrach den Malfluss, krümelte und verschmierte jede aufkommende Harmonie. Die großflächigen Pappen sahen seltsam verwüstet aus ... einerseits der Versuch von Struktur, anderseits unsauberes Chaos. Käufer fanden sich für die Werke nicht. Kunst ist auch immer Mühsal und gnadenlos - sie unterwirft sich keinem Zwang und schon gar keinem System zum Überleben. Matthias begann noch großflächiger mit seinen dunklen Zeitlinien zu arbeiten und bezog Mauern, Asphalt, Fassaden oder LKW-Planen mit ein. Er breitete sich aus - völlig losgelöst von schablonenhaften Zwängen nutze er dazu auch die Kraft von kochendem Teer. Die Deckkraft, der einmalige Farbauftrag begeisterte ihn.

Jetzt wo wieder und wieder alles zu blühen drohte, begab sich Ruth Wansleben in ihren aufwendig ausgebauten Keller. Vor dem UV geschützt und vor all zu aufdringlichen Farben in Sicherheit knipste sie ihren Schwarz-Weiß-Fernseher an und verfiel in eine jämmerliche Trägheit. Nur noch selten ging sie jetzt nach oben. Ruth versank in einem riesigen Ohrensessel und gabelte sich Pfirsichhälften aus einer Konservendose. Die wöchentlich ausgestrahlte Serie mit dem Mann und seinen Schwimmhäuten zwischen den Fingern, zog sie ganz in ihren Bann. Sie konnte mitfühlen, sein Leid teilen - und darauf kam es ihr generell im Leben an. Hier unten fühlte sie sich der amerikanischen Story ganz besonders nah, spürte die Bedürfnisse vom „Mann aus dem Meer“ in einer starken Leibhaftigkeit. In ihrer innerlichen Ruhe verheddert, schlief sie plötzlich ein, verpasste das Abtauchen, die Flucht vor den Gewissheiten der Forscher. In einem tranigem Traum warf Ruth Wansleben überlebensgroße Dominosteine um. Feiner, durchsichtig schimmernder Sabber verließ ihre schlaffen Mundwinkel, aus der schräg gehaltenen Dose troff sämig die gezuckerte Flüssigkeit. Was sie alles verpasste!

Samstag, 2. August 2025

WAS WERDEN SOLL.



Was soll werden? Zwei kräftige Hände packten meine schlaffen Schultern und rüttelten kräftig daran ... sie griffen nach dem müden Kopf und wackelten diesen hin und her ... schließlich umschlossen sie mein Herz und drückten schmerzhaft zu!

Tschingis Aitmatow und „Der weiße Dampfer“ rutscht mir vom kleinen Tisch und wie benommen falle ich in mich zusammen. Die Kraft des Schreibens versetzt mir einen heftigen Schlag, die Macht des Schicksals zerstört den menschlichen Traum!

Was soll nun werden - im Angesicht der letzten glasklaren Seen und dem blutigen Dreck unter gerissenen Fingernägeln? Wohin mit all den Waffen, diesen Beschleunigern des Kummers, den Verstärkern der Schreie? In den Schmutz und unter die genagelten Stiefel mit ihnen!

Die alte Frau mit der vielsagenden Gicht in den Händen schält an fleckigen Kartoffeln. Ein ums andere Mal fallen die runzligen Erdäpfel zu Boden. Auf dem gusseisernen Ofen brodelt bereits erwartungsfroh das kochende Salzwasser. Es duftet nach süßlicher Stärke, würzigem Kümmel und fetter Butter.

Das Alter pachtet unter glücklichen Umständen auch die Weisheit und eine wichtige Erkenntnis. Meine Ohren öffnen sich dem - wie riesige Tore einer langsam verfallenden Scheune. Es geht nicht um Wahrheiten - sondern ganz generell um die Macht und Kraft der Liebe.

Wir müssen uns den Blumen öffnen - das Pflücken und Schneiden jedoch nochmals überdenken. Das Glück des Lebens endet immer abrupt an den Brüchen und Rissen dunkler Wendungen. Das Licht trifft die Helligkeit und lässt das Böse erstarren. Bis in den letzten Winkel.

Daran glaube ich.